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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition)
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Und während er noch mit sich kämpfte, diese Lücke Lücke sein zu lassen, spürte er etwas Warmes am Fuß. McEllis bückte sich und zog die Brauen hoch.
    »Ab heute heißt du Rose«, sagte er.
    Nach diesen Worten schien auf der ganzen Station Stille zu herrschen. Nur der hellhörige Pacquin empfing trotz Ohrenwatte noch ein Geräusch. Ein leises Blättern drang aus der Kammer des früheren Gastes.
    Augustin saß neben der Ewigen Lampe und suchte in dem sichergestellten Adreßbuch noch einmal den Namen Lukas. Aber da war nichts zu finden. Oder das kleine e mit dem Kreis darum war ein l. Doch das schien ihm unwahrscheinlich. Hinter dem e steckte bestimmt eine Frau. Und sicher eine schöne. Grüne Augen, helle Haut. Eve. Ester. Ellen. Oder es war gar kein Anfangsbuchstabe, sondern der Schluß eines Namens. Suzie. Angie. Caroline. Oder eines Wortes. Liebe. Alles schien möglich, man konnte verrückt werden. Augustin klappte das Büchlein endgültig zu und dachte an den toten Freund. Wie sollte er den nächsten Schritt ohne ihn tun. Und erst die tausend Schritte danach. Er war doch auf keinem Gebiet eine Autorität, alte Schlager ausgenommen. Wie ein Gebirge, das er barfuß und im Dunkeln überqueren müßte, lag das Leben plötzlich vor ihm. Und schon morgen hätte er den ersten Berg zu erklimmen. Innerhalb eines Tages wollte er sich den Alten unentbehrlich machen. Beseitigung allen Unkrauts bis zum Ausbruch der Hitze. Dann Wartung des Jeeps sowie Entrosten von McEllis’ Maschine; später Abschmieren von Horgans Stuhl, unter Umständen Verbesserung der Mechanik. In der tödlichen Mittagsstunde Entstauben der Bibliothek und bis zum Angelusläuten Beheben der Kühlschrankerschütterung. Es blieb ja nur dieser Tag; die Toten waren bestattet, man würde sich wieder den Lebenden zuwenden. Also ihm. Würde feststellen, daß die Plakat-Affäre erledigt war – Adaza hatte vor den Journalisten mit seinem Können geprotzt – und Demetrios Wahndiagnose überholt; es gab nichts mehr aufzuklären, und er bedurfte auch keiner Ruhe mehr. Nun mußte man ihn schon hierhaben wollen . Augustin dachte an ein Jahr.
    Er löschte die Ewige Lampe und trat auf den Balkon. Die Nacht war hell. Hinter einer der Kuppen jenseits des Tals versank eben der Mond; nur eine Spitze streute noch Licht über den Wald. Der Himmel war wie gepflastert mit Sternen, unerbittlich schien ihr Glitzern; Augustin sah lange und gelassen auf die Pracht über ihm. Seit seinen Erkundungen in der Stunde der Revolution war er dem Anblick des Sternenmeers gewachsen – man mußte einfach nach den Sternen greifen, und schon war man nicht mehr ihr Opfer. Er stützte sich auf die Brüstung und sprach den Namen des Toten aus, während sein Blick in das Tal ging. Reglos war dort alles, wie unter Glas. Die Tellerwipfel der Falcatariesen, die Irrgärten des Farns, die Kämme der Palmen; das Mikado des Bambus, die matten Segel der Bananen – nur Schweigen. Die Nacht war auf ihrem traumlosen Grund. Weh dem, der jetzt noch unterwegs ist, dachte der Novize und sah zum Begräbnisplatz.
    Kaum eine Körperlänge trennte die Toten. Die Reste von Größe und Schönheit würden sich bald vermengen. Zu einer Erde vielleicht, in der alles gediehe – die Blumen des Südens und die Blumen des Nordens, Früchte der gemäßigten und Früchte der heißen Zonen, darunter ganz neue Arten und Sorten. Granatäpfel mit dem Ausmaß von Kürbissen, der Haut gewässerter Pfirsiche, dem Geschmack von Rosinen und dem Duft pelziger Himbeeren. Blutorangen ohne Schale; süße Oliven. Oder endlich: die oberirdische Kartoffel, in den Kelchen mannshoher Orchideen, für alle Gelehrten ein Rätsel. Ja, sogar Blüten, die ein Lächeln zeigen, sobald man sie gießt, und Blumen, die den Ausdruck des Betrachters annehmen, wären rund um die Gräber keine Seltenheit . . . Der Novize hob den Kopf. Irgend etwas durchdrang die Unbewegtheit. Aber das war kein Lufthauch oder Laut, das war ein Geruch. Er atmete ihn ein, und ihm war, als träume er von einem zurückliegenden Traum. In Gedanken zählte er auf drei, dann sah er ruckartig zur Seite. In der Balkonecke saß Mayla. Sie schälte eine Mandarine.
    Augustin legte vor Schreck eine Hand an die Schläfe und bewegte sie dort. Er wollte ganz sichergehen, daß er nicht schlief. Da war Mayla, und er stand hier, und kein Dritter war zu erwarten. Kurt Lukas’ Worte fielen ihm ein. Schaue ihr in die Augen und sage ihr, was du denkst. Jahre wären dazu nötig. Oder
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