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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition)
Autoren: Bodo Kirchhoff
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und rechts des Wegs hatte Augustin am Nachmittag rote Windlichter aufgestellt; es würde also keiner stolpern, und die Stufen, von Mister Kurt noch an dessen Todestag mit Mörtel gefestigt, dürften dem Druck von Trägern und Särgen standhalten. Pacquin trank etwas Wasser und benetzte seine silbrigen Augen. Dann absolvierte er das Abendtraining. Wie ein Holzmännchen, das nur die Füße bewegen kann, zog er seine Bahn und ortete die übrigen. Dalla Rosa schob Horgan – Anrichte, Bücherwand und zurück. Der Novize lehnte rauchend am Fenster. Butterworth saß in der Leseecke, mal schreibend, mal betend. Und neben der Durchreiche stand McEllis und kaute. Das war gegen acht, als draußen das gleichmäßige Zirpen der Heimchen anfing.
    McEllis kaute ein Stück Toast. Den ganzen Tag hatte er noch nichts gegessen und fürchtete, bei der Grabrede umzusinken, wenn er sich nicht stärkte. Die Wahl war rasch auf ihn gefallen. Er sei mit Mister Kurts letztem Lebensabschnitt am engsten verknüpft und habe Gregorio sterben sehen, sagten die anderen. Die Rede sollte knapp sein und für beide Tote gültig. McEllis klopfte an der Durchreiche. Er bat um etwas Butter, und eine stellvertretend für alle weinende Flores reichte ihm gleich noch Käse und Wurst. Damit setzte er sich an den Tisch und feilte an der Rede, die er dann ohne Blatt halten wollte. Drei leise Geräusche bestimmten die nächste Stunde – McEllis’ nervöses Hinzufügen und Durchstreichen; feines Quietschen von Horgans Stuhl; und schließlich ein kaum hörbares in sich Hineinsprechen, das aus der Leseecke kam.
    Auch Butterworth war nervös. Der frühere Gast erschien ihm jetzt noch unbekannter als zu Lebzeiten. Was hatten sie schon gewußt über den Deutschen aus Rom? Nicht einmal das genaue Alter, kaum etwas über seine Herkunft. Sein Vaterland war der Spiegel, so schien es. Sie beerdigten einen Unbekannten. Butterworth fühlte sich wie vor Kinderbestattungen, hilflos. Und wie vor Kinderbestattungen suchte er Ablenkung. In seinem Schoß lagen die Kopien, die er schamerfüllt, aber zügig gemacht hatte – manchmal bewährten sich gestiftete Dinge –, aufgeschlagen war die Lieblingsstelle . Nach dem Satz »Aus irgendeinem Grunde fällt sein Glas herunter, zerspringt, und aus irgendeinem Grunde besteht Einigkeit, daß er kein neues holt« hatte die Autorin, zum Glück, die Sprache gewechselt. Sein Italienisch aus dem römischen Studienjahr war zwar etwas erstarrt, doch wozu gab es Wörterbücher; auf Dalla Rosa wollte er lieber verzichten. Butterworth hatte schon die Rohübersetzung.
    »Über welche Mittel verfügen wir, den Kopf zu behalten, wenn uns jemand gefällt? Ich nenne plötzlich meinen Mädchennamen. Aber daraus wird kein Gespräch. Wir sitzen uns gegenüber, wir trinken aus einem Glas, wir lauschen einer unermüdlichen Zikade. Als sie sich erschöpft hat, breche ich auf. Er bringt mich zur Tür, er begleitet mich auf die Straße. Dann die ersten leichten Worte. Ich steh dort drüben, sage ich, und er boxt mich sanft – Wieso? Du stehst hier . . .« Butterworth ersetzte boxt durch stößt , legte dann die Kopien in eine Mappe und blickte auf – Mayla und der Bischof standen bei den anderen. Er hatte ihr Kommen weder gehört noch gesehen, und zum ersten Mal war ihm sein Alterswerk unheimlich.
    De Castro trank Eiswasser und schwieg. Ab und zu löste sich eine seiner Schweißperlen und lief ihm über die Wange. Er hatte Bedenken gegen die doppelte Nachtbestattung, in der er mehr ein Verschwindenlassen des Deutschen sah als ein christliches Begräbnis. Doch Mayla schien die bevorstehende Feier zu helfen, und nur das zählte. Sie redete wieder. »Ich habe eine Stunde geschlafen«, hatte sie auf der Fahrt zur Station gesagt, »mehr konnte ich nicht für mich tun.« Mayla stand vor ihrer ehemaligen Bühne und trank ein Glas Milch, das war gegen neun. Um Viertel nach neun – so sah es der Plan vor – sollten die Särge aus der Hauskapelle geholt werden; spätestens um halb zehn, hatte Crisostomo versichert, seien die Gruben ausgehoben.
    Pünktlich, nämlich genau um neun, traf Doña Elvira ein. Sie trug ein dunkles, etwas schlotterndes Kostüm, dazu helle Schuhe, die sie geschwärzt hatte. In der einen Hand hielt sie ein flaches Päckchen, in der anderen die entliehene Erzählung. Sie dankte für das Vertrauen, das sich mit der Einladung verbinde – »die mich vor einer Todsünde bewahrt hat« –, und gab Dalla Rosa das Bändchen zurück, wobei sie auf
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