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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition)
Autoren: Bodo Kirchhoff
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bepflanzt werden könnte.
    Es war ein Locken, gegen das selbst Watte nicht half; nach und nach hörten es auch die anderen.
    Horgan dachte sofort an Phyllis, an die Sonntage im Unterholz. Dann an den Menschen, dem er von Phyllis erzählt hatte. Die waren nun beide tot. Sein dritter Gedanke galt Mayla: Vielleicht kehrte sie jetzt ja zurück. Flores hatte allerdings auch ihre Vorzüge. Aus der fettarmen Küche war eine regelrechte Schmalzgrube geworden. Hühnerbeine und Fische troffen vor Fett. Schon zum Frühstück standen Grieben auf dem Tisch; Butter war keine Seltenheit mehr. Gott weiß, wie sie das machte bei Butterworth’ Sparplan. Doch dafür fehlte Flores der Sinn für das Süße. Für Rosinen und Gelees, Zuckersemmeln und Bananenpampe, Milch- und Sahnesuppen und all die anderen Leckereien, die Mayla aus Vanille und Zimt, aus Schlagrahm und Pfläumchen, ja, oft aus dem Nichts gezaubert hatte. Horgan – er lag gewaschen und in ein luftiges Tuch gewickelt im Bett – spürte seinen Faden und schämte sich für diesen ausgeuferten vierten Gedanken. Ein Bruder und ein Freund waren zu beklagen. Ein großes Vorbild im Leben und ein wackerer Gegner auf Rasen. Er betete noch einmal für beide und drehte sich dann ebenfalls zur Wand. Seine Tennislaufbahn schien damit endgültig abgeschlossen; nun blieb nicht mehr viel.
    Als nächster vernahm Dalla Rosa das lockende Schnalzen. Es weckte ihn sanft, und er glaubte, einen Hauch von Wein und Käse zu riechen, jene Mischung aus säuerlichem Gären, milder Fäulnis und gewöhnlichem Zucker. Grazia Adelina. Er war eingenickt und hatte von ihr geträumt. Sie ging mit ihm durch Rom und führte ihn nicht auf ein Standesamt. Seit seiner Flucht vom Capitol war ihm Grazia Adelina nur in platten Hochzeitsträumen erschienen, und gerade eben hatte sie das wunderbare Kunststück fertiggebracht, seinen Vornamen zärtlich abzuwandeln, aus dem hoffnungslos steifen Bruno ein Brunino zu machen – Dalla Rosa murmelte es vor sich hin. Wenn er sich recht erinnerte, existierte dieses Wort gar nicht. Oder er verkalkte. Auch das Italienisch der Sängerin war ihm ja stellenweise fremd vorgekommen. Vielleicht sollte er sie dazu befragen, wenn sie Anna Karenina zurückbrächte. Wenn. Er hatte nun selbst Bedenken wegen des unguten Endes; andererseits verkehrten in Infanta keine Züge. Jedenfalls bekäme sie beim nächsten Mal etwas mit positivem Ausgang und doch von Wert. Gar keine leichte Aufgabe bei den vielen Büchern aus der McEllis-Schenkung. Dalla Rosa dachte an seinen Gehilfen: Der würde ihm fehlen. »Höre, Lukas, wir finden noch eine Ordnung«, flüsterte er. »Ich weiß, daß es sie gibt. Nur wird sie anders aussehen als alle üblichen Systeme. Und wenn ich dich so ansehe, spüre ich, worauf es hinauslaufen wird. Wir werden immer ein herunterziehendes Buch neben ein erhebendes stellen, ein schwieriges neben ein leichtes, ein belangloses neben ein bedeutendes, ein trauriges neben ein lustiges. Und dann sind wir dem Geheimnis dieser Ansammlung vielleicht auf der Spur. Nicht verschiedene Menschen, sondern ein und derselbe, hin- und hergerissen, ein Liebender, hörst du, hat heute Küß mich, wenn die Milch kocht gekauft und morgen Gogols Mantel, und das über Jahre.« Dalla Rosa schloß sein Wanderauge. »Ich hab’s«, sagte er. »I got it, Lukas.«
    Ein leises Heureka. Nur Butterworth, empfänglich noch für die kleinsten Ausrufe dieser Art, hörte und erkannte es und sah von seiner Arbeit auf. Er übersetzte. Fünf weitere Kurt-Lukas-Stellen hatte er gefunden, davon drei auf italienisch, davon eine intim. Und an der saß er. Sprachlich stellte sie keine besondere Anforderung dar. Sie war ein moralisches Problem. Durfte er sie übersetzen. Butterworth schob das Problem vor sich her; seine Gedanken eilten in die Zukunft. Die Chronik war fertig, das Buch lag vor. Einen Liebesroman nannten es die einen, Geschichte einer vergeblichen Heimatsuche die anderen. Etwas Gescheitere sprachen von den Labyrinthen der Eitelkeit, Böswillige vom Essiggeruch des Alters, der manchen Kapiteln anhafte, weniger Gescheite von den Grillen pensionierter Missionare; und im Fernsehen hieß es: Urlaubslektüre. Mit diesem Hinweis kam der Erfolg. Leserzuschriften aus aller Welt trafen ein, darunter ein Brief von Belle. Aus der minderen Autorin war eine gefeierte Quiz- und spätere Interviewmeisterin geworden, jetzt in Rente, Miami Beach, Ocean Boulevard 1489. Und sie bewunderte ihn. Nie hätte ich geglaubt, daß
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