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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition)
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Sekunden. Er wandte sich etwas ab und sah dann wieder in die Ecke. Mayla saß immer noch auf dem Boden – sternenbeglänzt, wenn er sich das nicht einbildete –, in ihrem Beerdigungskleid mit aufgesetzten Taschen; aus einer ragte der Brief, den er geöffnet hatte. Wie war sie an ihn gekommen? Darauf gab es keine Antwort. Augustin versuchte, in ihren Augen zu lesen. Doch Maylas Augen sahen ihn nur an. Sie verrieten nichts. Nicht einmal, ob sie seine zwölf Seiten gelesen hatten, über Liebe und Leben, eher theoretisch. Ihr Blick glitt über sein Gesicht; oder kam ihm das nur so vor? Vielleicht hatte Mayla ihn noch gar nicht bemerkt. Er räusperte sich leise, und da legte sie die Schalen zwischen ihre Füße und teilte die Mandarine. Sie verglich die Hälften und bot ihm die kleinere an. Augustin nahm sie ihr ab. Sie hatte ihn also bemerkt. Er wagte nicht, sich zu bedanken; er aß.
    Unmöglich, jetzt schon mit ihr ein Gespräch zu beginnen. Worüber sollte er auch reden, außer über den Toten. Und was sollte Mayla ihm sagen. Sie kannten sich kaum. Drei Sätze hatten sie gewechselt oder vier. Sie kannten sich gar nicht. Und doch liebte er Mayla. Er hatte sie in der Stunde seiner Ankunft hinter der Durchreiche Besteck abtrocknen sehen und geliebt. Ein Augenblick hatte genügt. Auf einmal sah er das wie ein gestochenes Bild – das ungeheuer Einfache daran. Er mußte einen Menschen nicht kennen, um ihn zu lieben. Er mußte auch sich selbst dazu nicht kennen. Er mußte nur wach sein und auf sich hören. Der Novize schluckte das letzte Stück Mandarine herunter; er machte sich jetzt keine Gedanken mehr. Er hatte den Anfang eines Fadens gefunden, der wohl einmal um die Erde reichte, aber in Maylas Hand endete. Das genügte ihm. In der Art des toten Freundes legte er den Kopf zurück und faltete die Hände im Nacken. Nur aus Achtung vor dem sorgfältigen Erwägen eines Butterworth oder Dalla Rosa, eines Pacquin oder eines McEllis, vor allem aber eines Horgan, den er ebenfalls liebte, wollte er den Entschluß, kein Priester zu werden, noch etwas reifen lassen. Augustin nahm allen Mut zusammen und setzte sich zu der Frau, die er liebte. Nie hatten ihn zwei Schritte so angestrengt, und er schloß die Augen und atmete aus. Er dachte an Kurt Lukas, um dessen Laden er sich kümmern müßte, er dachte an die Revolutionsnacht und den Ringkampf im Regen. Ein Zirpen ließ ihn dann die Augen wieder öffnen, und in dem Moment gähnte Mayla – Glück oder Absicht –, jedenfalls sah sie sein Erstaunen über ihren Anblick und sprach –
    »Schlaf«, sagte sie, und er schlief neben ihr ein.
    Später weckte ihn die Spieluhrmusik. Da tagte es schon, und der Platz an Augustins Seite war leer. Nur die Mandarinenschalen deuteten noch das Unglaubliche an. Er sammelte sie auf und wartete die Sonne ab. Als ihr erster Strahl über eine der Waldkuppen schoß und seine Stirn erwärmte, traf er die Entscheidung.
    Mindanao, Cebu City, Frankfurt und Rom,
    Januar 1985-Januar 1990.
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