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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition)
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Lukas faltete die Hände im Nacken. »Ich glaube, ich bin kein besonders nachdenklicher Mensch, Father.«
    »Ach so. Das konnte ich nicht wissen.«
    Butterworth zuckte mit den Lidern; trotz feuchter Hitze war sein Gesicht völlig trocken. Er riet dem Gast noch, sich den Ort anzuschauen, am besten gleich, sprach von der Kirche als Zuflucht in der Mittagsglut, empfahl, sich vor der Sonne zu schützen, auch wenn der Himmel bedeckt sei, und suchte dann selbst den Schatten.

I nfanta war ein Ort mit ungewisser Einwohnerzahl. Wer kein Dach über dem Kopf hatte, galt nicht als Bewohner. Aber was war nicht alles ein Dach. Geplättete Kanister. Bambusrohre. Palmwedel und Pappe. Bunte Fetzen. Ein Sack. Auf hundert Menschen mit Dächern kamen fast halb so viele, die keine Bleibe angeben konnten. Bis vor kurzem. Denn in den Wählerverzeichnissen tauchten diese Obdachlosen plötzlich namentlich auf, neben den frisch Verstorbenen und Schwachsinnigen Infantas. Sichere Stimmen. Parteitrommler konnten den Ort getrost übergehen; Politiker von außerhalb mieden ihn gar – zu heiß, zu unwegsam. Infanta erstreckte sich über den ganzen Kessel, in dem es lag, über seine Hügel und sein Tal, über sumpfige Felder und Regenwald, schien schon zurückgefallen an das Dickicht und erhob sich noch einmal als wilde Siedlung aus schwelender Asche wie eine Sinnestäuschung. Trotz aller Weitläufigkeit gab es eine Art Hauptstraße. Sie trug den Namen eines Generals und diente auch dem Durchgangsverkehr; eine bessere Fahrspur, die in der Trockenzeit bis nach Davao reichte, der Hauptstadt der Insel.
    Längs dieser Hauptstraße standen die wenigen soliden Gebäude des Ortes, Gemeindehaus und Schule, Bürgermeisteramt und Kirche, das Hauptquartier der Polizei sowie eine Poststelle. Etwas abseits, aus Latten gezimmert, lag die Hahnenkampfarena. Alles übrige waren Hütten und Verschläge. Dazwischen gab es winzige Läden wie aufgegebene Puppenbühnen. Manche boten nur Bananen, die an feinen Schnüren hingen, nicht mehr als sechs oder sieben. Andere verströmten den Geruch von Gummiartikeln und Lakritze oder führten Fortsetzungsheftchen, die man ausleihen konnte, ebenfalls an Schnüren hängend. Das Unterhaltungsangebot war groß. Jeder Ortsteil hatte seinen Billardschuppen, Heftchenladen oder Glücksspielstand. Konkurrenzlos war nur ein Vergnügungslokal auf einem der Hügel. Nacht für Nacht schallte von dort Musik über Infanta, fast vergessene Schlager, kläglicher Amateurgesang und zwischendurch eine richtige Stimme. Sie gehörte der schwarzen Sängerin Elvira Pelaez, der auch die Bude gehörte, wie sie ihr Lokal schlicht genannt hatte. Eine Zugereiste, die sich bei jedem Auftritt ein Gebläse hinterhertragen ließ; ihr junger Träger bediente sonst Musik- und Lichtanlage, seine Tante trat in der Bude als Tänzerin auf. Bis zu ihrer Spätvorstellung wurde warmes Essen serviert. Niemand erhielt Kredit. Ein Monopol.
    Schärfster Wettbewerb herrschte dagegen unter Friseuren. Es gab vierzehn Schönheitssalons, der fünfzehnte sollte in Kürze eröffnen; über dem Laden war bereits ein Schild montiert, auf dem der Inhaber Frisuren für jedes Gesicht anpries. Kein Mensch nahm die Reklame ernst. Über jedem Laden gab es eine Tafel, die versprach, was sich der Kunde erträumte. Helle Haut durch Sonnenschirme. Weitsicht durch Brillen. Karriere durch gestärkte Hemden. Glück durch ein Los. Persönlichkeit durch ein Foto. Drei Fotografen boten ihre Dienste an, darunter ein Meister – auf der Tafel über seinem kleinen Geschäft gegenüber der Post stand kein einziger Hinweis auf Familien- oder Hochzeitsbilder, sondern nur Haus der Wunder . Die meisten Reklametafeln waren größer als die Läden und flatterten während eines Taifuns wie Segel, nicht selten rissen sie den Unterbau mit sich. Aber es war Sommer. Und Wahlkampfzeit. Alle Wände, alle Hütten, jede brauchbare Fläche war mit alten und neuen Plakaten bedeckt. Die unzähligen Porträts mit ihren Sprüngen und Blasen waren in diesen Tagen das schäbige Kleid von Infanta. Sogar einem der offiziellen Gebäude war dieses Papierkleid bei Nacht übergestreift worden.
    Der Polizeichef machte aus seiner Schwäche für die Diktatur keinen Hehl. Wie alle Gewalt ausübenden Männer konnte er sich mehrere Schwächen zugleich erlauben. So zeigte er Vergnügen an amerikanischer Arroganz und brüstete sich, er sei mit Haut und Haaren Patriot. In jeder seiner Schwächen steckte ein Schuß Folklore, und wie
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