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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition)
Autoren: Bodo Kirchhoff
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ab, es fiel ihm herunter. Er hob es auf, blies den Staub von der Haut und nannte zweimal seinen Namen.
    »Ich weiß, ich weiß«, erwiderte das Mädchen.
    Er wollte fragen, woher, da wußte er es schon selbst; mit einer Hand schloß er sein Hemd.
    »Du arbeitest bei den alten Priestern, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Zwei kleine Adern pochten unter ihren Augen. Er sah auf ihr Haar.
    »Bist du mir nachgegangen?«
    »Nein.«
    In ihrer Stimme schwang Spott. Sie schob den Rest der Mandarine in den Mund und kaute. Sie ließ sich Zeit. Mit beiden Händen strich sie ihr Haar hinter die Ohren.
    »Ich komme jeden Tag hierher. Um diese Zeit.«
    »Für mich ist es das erste Mal.«
    »Ich weiß«, sagte sie wieder.
    Er nahm sich einen Kern von den Lippen und legte ihn auf die Bank, sah ihre Blicke und schob ihn über den Rand, erschrak, als er hörbar vom Boden wegsprang, und bedeckte ihn schnell mit dem Schuh. »Wo hast du so gut Englisch gelernt?« fragte er.
    »Bei Father Gussmann.«
    »Dem ausgetretenen Priester?«
    »Ja.«
    »Aber es klingt nach McEllis, wenn du sprichst.«
    »Er gab mir auch Unterricht.« Ihr Blick glitt über seine Stirn, ging über ihn hinweg, in die Weite der Kirche, folgte dem Hin und Her der Spatzen und traf ihn dann so überraschend, daß er beinahe gelacht hätte – »Sag mir, wie alt ich bin.«
    »Achtzehn?«
    »Ich werde zwanzig. Noch ein Jahr, und ich studiere. Für meine Arbeit auf der Station wird mir der Orden ein Studium bezahlen. Ich habe Glück.«
    »Was willst du studieren?«
    »Theologie.«
    »Geht das?«
    Sie schüttelte lächelnd den Kopf; ihre Augen lächelten nicht mit. Kurt Lukas sah sie immer noch an. »Ich bin doppelt so alt wie du«, sagte er.
    »O nein«, entgegnete sie. »Du bist nicht so alt.«
    Er aß seine Hälfte zu Ende. Die Worte gingen ihm aus. Er fühlte sich wie nach Stunden konzentriertester Arbeit, fast dumm. »Ich glaube nicht, daß du zufällig hier bist«, sagte er in umständlichem Englisch. »Ich glaube, du wolltest mich sprechen.«
    Unter ihren Augen bildeten sich Schatten wie ein feiner, über die Äderchen geworfener Flor.
    »Ich spreche gern mit dir«, fügte er leise hinzu.
    »Du sprichst zuviel.«
    Sie reichte ihm die Mandarinenschalen, sagte, »Ich muß weiter«, und glitt aus der Bank.
    Er sah ihr nach. Sie war noch schöner, wenn sie sich bewegte. Kurz vor der Tür drehte sie sich um und bekreuzigte sich mit einem fließenden Auf und Ab ihrer Hand, ehe sie unter den Sonnensegeln des Marktes verschwand.
    Ein Spatz flog schräg durch die Kirche und wieder zurück. Lautlos flitzte er unter der Decke umher, flog den Gekreuzigten an, um auf der Dornenkrone zu landen, drehte nach unten ab und sauste dicht über den Boden, stieg erneut und verharrte mit wildem Geflatter, verschwand zwischen Balken und kam woanders hervor und schoß im Zickzack weiter. Kurt Lukas verfolgte den Irrflug und sah plötzlich drei, ja vier Spatzen zugleich, als habe er getrunken, sah auch wieder die Katze vorm Altar, wie sie unbewegt schaute, sah die Heiligen mit ihrem sorglosen Ausdruck, seltsam lebendig, und die Mandarinenschalen in seiner Hand, zwei gleich große Teile. Er steckte sie vorsichtig ein, und vorsichtig stand er auf.
    Rückwärts, immer wieder nach den Seitenbänken greifend, den Altar und die Katze im Auge, entfernte er sich. Neben dem Weihwasserbecken blieb er stehen und stellte sich vor, wie sie ein Kreuz zu schlagen, mit der gleichen schönen Bewegung. Aus Furcht, sie zu parodieren, ließ er es sein. Statt dessen warf er Münzen in den Opferstock, sämtliche Münzen, die er bei sich hatte, stopfte dann auch noch Papiergeld nach, alle getauschten seifigen Scheine, dazu zwei Dollar und tausend Lire; nur die Schalen behielt er.

D er Januar wurde immer heißer. Die erste Nacht ohne Abkühlung verging, der erste Tag ohne Wind. Am dritten Tag unter verschleiertem Himmel zerflossen die Eisblöcke, die in den Eßbuden Bier und Fleisch kühlten, zerfielen Wahlplakate wie Asche, und die Schatten der Fußgänger verschwammen, als löse sich auch die Menschengestalt langsam auf.
    Gegen drei Uhr, als die Sonne überall zu stehen schien und die Luft in den Hütten zum Schneiden war, unterhielten sich Dalla Rosa und der Superior im Garten. Wie in Zeiten emsigster Missionsarbeit glaubten beide, der Hitze durch Nichtbeachtung trotzen zu können. Ein Irrtum, dem auch die übrigen unterlagen. Besonders Nächte ohne Abkühlung setzten den Alten zu. Das endlose Wachliegen mit seinen
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