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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte
Autoren: Mary Jo Putney
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Asche vorgefunden. Die Dunkelheit in seiner Seele war nun endgültig hervorgebrochen, und nicht einmal die gleißende asiatische Sonne war stark genug, die schwarzen Nebel zu schlucken, die in Wellen erstickender Furcht in seinem Inneren aufwallten.
    Ian konnte gerade noch erkennen, daß er zerfiel, und er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie zum Teufel er diesen Vorgang aufhalten sollte. Wie ein verwundetes Tier wünschte er sich sehnlichst eine Höhle, in der er allein leiden konnte, aber der Club war zu öffentlich, Hotels gab es nicht, und er würde niemals das Haus eines Freundes finden, bevor er zusammenbrach.
    Rascher Hufschlag erklang hinter ihm, und eine Stimme rief seinen Namen. Ian erstarrte und fragte sich, ob Gerry Phelps blöd genug war, ihm zu folgen. Das andere Pferd galoppierte an seine Seite und wurde heftig gezügelt. Dann berührte eine Männerhand Ians rechtes Handgelenk.
    Die Tatsache, daß man sich seiner blinden Seite genähert hatte, ließ den letzten Faden von Ians Selbstbeherrschung zerreißen. Er drehte sich im Sattel um, holte mit seiner linken Faust aus und wollte nur noch schlagen, wehtun, sich wehren, wen immer er auch treffen würde.
    Der Störenfried war nicht Gerald Phelps. Als seine Faust auf die Brust des anderen krachte, erkannte Ian, daß er seinen jüngeren Bruder David attackierte.
    David, in der Uniform eines Captains des 46. Eingeborenen-Infanterieregiments, schaffte es nur knapp, nicht aus dem Sattel zu fallen. Einen endlosen Augenblick starrten die beiden Männer sich an. Dann verzog ein schiefes Lächeln Davids sonnengebräuntes Gesicht. »Ich habe nicht vergessen, daß ich dir zehn Pfund schulde, Ian, aber du mußt das Geld nicht aus mir rausprügeln. Ich hätte es dir längst zurückgezahlt, wenn du nicht nach Turkestan gegangen wärst, um dich umbringen zu lassen.«
    Hilflos erwiderte Ian: »Himmel, David, was tust du hier? Als ich Indien verließ, warst du bei den Bengalischen Pionieren!«
    »Kalkutta war so langweilig, so daß ich drei Monate, nachdem du fort warst, zum 46. gewechselt bin. Ich dachte, das Leben im Norden würde aufre-gender sein.« Voller Gefühl, das seine lockeren Worte Lügen strafte, griff er nach Ians Hand. Als dritter der vier Cameron-Sprößlinge besaß David die ausgeglichenste Natur und den gesündesten Menschenverstand. Und er war einer der wenigen Menschen, deren Gesellschaft Ian im Augenblick ertragen konnte.
    Dann ließ er Ians Hand wieder los und sagte: »Was zum Teufel ist mit dir in Buchara geschehen?«
    Ian schüttelte nur den Kopf. Er konnte nicht antworten.
    David runzelte die Stirn, als er das Gesicht seines älteren Bruders intensiv musterte. »Wo bist du untergekommen?«
    »Nirgendwo. Ich bin einfach nur zurückgekehrt.« Ians Stimme brach, doch er faßte sich wieder. »Ich bin direkt zu Colonel Whitmans Haus geritten.«
    Schweigen legte sich über sie, dann sagte David schlicht: »Ich verstehe. Komm mit mir. Mein Bungalow liegt in der Nähe. Der Mann, mit dem ich das Haus teile, ist für ein paar Monate fort, also habe ich genug Platz.«
    Stumm wendete Ian sein Pferd und ritt hinter seinem Bruder her. Nur noch ein paar Minuten. Das konnte er schaffen. Nur noch ein paar Minuten.

Kapitel 3
    Verwirrt rollte sich Ian herum und blinzelte benommen, als er erwachte. Dann erinnerte er sich. Cambay. Das katastrophale Wiedersehen mit Georgina. Schließlich, Gott sei’s gedankt, David. Als sie beim
    Bungalow angekommen waren, hatte sein Bruder vorgeschlagen, daß er sich ausruhen sollte, und ihn zu einem der Schlafzimmer gebracht. Ian hatte sich nicht einmal ausgezogen, bevor er sich, mit dem Gesicht nach unten, ausgestreckt aufs Bett fallen ließ. Innerhalb von Sekunden war er in einen todesähnlichen Schlaf gesunken.
    Die rötlichen Strahlen der Nachmittagssonne drangen durch die Fensterläden, aber was für ein Tag war heute nun? Vielleicht hatte er volle vierundzwanzig Stunden geschlafen, so wie damals, als er nach der mörderischen Flucht durch die Karakum in der Festung bei Juliet angelangt war. Und auch damals war sein Schlaf eher ein Koma gewesen.
    Er fühlte sich noch immer müde und zerschlagen, glaubte aber nicht, daß er noch würde weiterschlafen können, denn die schwarzen Nebel quälten ihn noch immer. Ernsthaft dachte er über seine bildhaften Gedanken nach. Der Begriff Nebel war noch zu sanft; die Schatten waren mehr wie knurrende schwarze Hunde, die ihn umkreisten, seinen Geist verdüsterten, nach ihm schnappten und
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