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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte
Autoren: Mary Jo Putney
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geiferten, während sie darauf warteten, ihn zu töten. Wie Wölfe vielleicht.
    Vielleicht wäre es klüger gewesen, bei den Nebeln zu bleiben, überlegte er, als er zittrig auf die Füße kam und zum Waschständer ging. Der Spiegel über dem Becken zeigte ein dreckiges, bärtiges Gesicht, das allein schon jeden erschrecken konnte. Georgina hatte es auf jeden Fall erschreckt. Mit zusammengepreßten Lippen wandte er sich ab und öffnete die Tür zum Hauptraum des Bungalows. David saß an einem Schreibtisch und schrieb einen Brief.
    »Wie lange habe ich geschlafen?« fragte Ian.
    Sein Bruder blickte auf. »Weniger als zwei Stunden. Ich hatte nicht erwartet, dich vor morgen früh zu sehen.«
    Kein Wunder, daß er sich nicht ausgeruht fühlte.
    David fuhr fort: »Wie wär’s mit einem Bad? Danach können wir essen, und du kannst mir erzählen, was in den letzten zwei Jahren geschehen ist.«
    Der Vorschlag war verdammt gut, denn nach einer Rasur und einem Bad und in frischen Kleidern fühlte Ian sich fast wieder wie ein Mensch. Im stummen Einverständnis stellte keiner der Brüder Fragen, bis sie mit dem Essen fertig waren. Oder besser, bis David mit dem Essen fertig war, denn Ian aß nur wenige Bissen und schob dann den Rest nur noch mit der Gabel über seinen Teller.
    Als David fertig war, gab er ein Zeichen, den Tisch abzuräumen. »Hast du Lust auf einen Brandy?« fragte er.
    Ian betrachtete die Karaffe. »Ich glaube schon, obwohl es wahrscheinlich ein Fehler ist... Nach zwei Jahren in islamischen Ländern, wo es keinen Alkohol gibt, haut mich ein Drink womöglich aus den Schuhen!«
    David füllte zwei Gläser und schob eins über den Tisch. »Abgesehen von dem Wechsel zum 46., ist bei mir in den letzten zwei Jahren nicht viel passiert. Aber wie bist du aus Buchara entkommen? Es hieß, du wärest kurz nach deiner Ankunft in der Stadt eingekerkert und ein Jahr später exekutiert worden!«
    Ian zuckte die Schultern. »Der Bericht stimmt nur zur Hälfte. Ich wurde gefangengenommen, aber nicht exekutiert - jedenfalls nicht richtig. Nach eineinhalb Jahren in dem dreckigsten, abstoßendsten Loch, das man sich vorstellen kann, tauchten Juliet und ihr verlorengeglaubter Mann auf, wir flohen nach Persien, und hier bin ich nun.«
    Davids Brandyglas kam auf halber Strecke zum Mund zum Stillstand. Ungläubig starrte er seinen Bruder an. »Unsere Schwester Juliet? Und Ross Carlisle?«
    Nachdem Ian in groben Zügen die Einzelheiten berichtet hatte, stieß David einen leisen Pfiff der Verwunderung aus. »Du hattest verdammtes Glück.«
    »Allerdings.« Ian nahm eine Mango und begann, die Frucht mit dem rasiermesserscharfen persischen Dolch, den seine Schwester ihm gegeben hatte, in Scheiben zu schneiden. »Ich sage mir das auch immer wieder.«
    »Also sind Juliet und Ross wieder vereint«, meinte David nachdenklich. »Warum zum Teufel ist sie denn überhaupt damals davongelaufen? Ich habe das nie begriffen. Ich weiß, daß Juliet mehr als den normalen Anteil der Cameronschen Impulsivität abbekommen hat, aber Ross nach weniger als sechs Monaten Ehe zu verlassen, ist mir immer wie Irrsinn erschienen.«
    »Ich weiß nicht, warum sie es damals tat — sie hat sich mir nicht anvertraut. Aber Ross ist wohl mit ihrer Erklärung zufrieden, und das ist alles, was zählt.« Ian zögerte einen Moment, als er sich an die intensive Nähe erinnerte, die er zwischen seiner Schwester und ihrem Mann gespürt hatte. Er freute sich für sie, aber der Gedanke daran ließ seine eigene Situation nur noch trostloser erscheinen. Angewidert von seinem Selbstmitleid fuhr er fort: »Sie müßten bald wieder in England eintreffen. Juliet hat sich nicht nur in eine liebende und mehr oder weniger pflichtbewußte Ehefrau verwandelt, sie trägt auch bereits einen Stammhalter mit sich herum.«
    David grinste. »Typisch Juliet. Nur keine Zeit verlieren!«
    »Georgina denkt wohl auch so.«
    Die Miene seines Bruders wurde ernst. »Urteile nicht zu hart, Ian. Als die Nachricht kam, daß du exekutiert worden wärest - und der Bericht war überzeugend, nicht nur eine vage Vermutung war Georgina am Boden zerstört. Sie kam oft zu mir, und wir redeten stundenlang über dich.«
    »Und dann hat sie kurzerhand den nächsten auf der Warteliste genommen.«
    »Sie ist die Art von Frau, die einen Mann braucht.«
    Ian nahm seinen ersten Schluck Brandy. Wie erwartet, traf ihn die Wirkung des Alkohols wie ein Schlag. Aber er war froh über den Effekt - mit etwas Glück würde er
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