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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut
Autoren: Michael Swanwick
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Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen. Einer, ein gockelhafter junger Mann mit einem Kamm im steifen schwarzen Haar, trat auf die Veranda und beugte sich beiläufig über ein Tablett mit hellen Federbündeln - Fetische vielleicht oder Fischköder. Chu beobachtete ihn aufmerksam.
    Als der Mann sich aufrichtete, trat Chu vor und packte ihn beim Arm.
    »Ich hab's gesehen!« Chu wirbelte den Mann herum und schleuderte ihn gegen den Türpfosten. Schreckensbleich glotzte er sie an. »Was haben Sie da unter dem Hemd?«
    »Ich? Nichts! W-w-wer sind Sie ...«, stammelte er. Aniobe straffte sich und stemmte die Arme in die Hüften. Die übrigen Arbeiter, der Bürokrat und der Krämer erstarrten und schauten schweigend zu.
    »Ziehen Sie das aus!« fauchte Chu. »Sofort!«
    Verwirrt und eingeschüchtert gehorchte er. Zum Beweis, daß nichts darunter versteckt war, hielt er ihr das Hemd mit einer Hand entgegen.
    Chu ignorierte es. Sie betrachtete den Oberkörper des jungen Mannes von oben bis unten. Er war schlank und muskulös und hatte eine lange, geschwungene, silbrige Narbe auf dem Bauch und ein dunkles Büschel Haare auf der Brust. Chu lächelte.
    »Nicht schlecht«, sagte sie.
    Die Arbeiter, ihre Chefin und der Krämer brachen in brüllendes Gelächter aus. Chus Opfer errötete, senkte zornig den Kopf, ballte die Fäuste und verhielt sich ruhig.

    »Ist Ihnen aufgefallen, wie diese Rothaarige die Männer geneckt hat?« bemerkte Chu, als sie fortgingen. »Ein aufreizendes kleines Biest.« Weiter die Straße entlang lag ein baufällig wirkendes Gebäude mit durchhängendem Dachfirst; die Hälfte der Fenster war mit passend zurechtgeschnittenen alten Werbeplakaten zugeklebt. Das Holz war verwittert und eingedunkelt, und einzelne Wortfragmente und Bilder eröffneten kleine Gucklöcher in eine freundlichere Welt: ZAR, ein Fischschwanz, etwas, das entweder eine Brust war oder ein Knie, KLE und eine Nase, die so hoch gereckt war, als wollte ihr Besitzer Regen mit den Nasenlöchern auffangen. Auf einem verblaßten Schild über dem Eingang stand HOTEL ENDSTATION. Die Überbleibsel der Eisenbahnschienen führten daran vorbei. »Dorthin ist auch mein Mann verschwunden.«
    »Warum haben Sie ihm das angetan?« fragte der Bürokrat. »Diesem Arbeiter.«
    Chu tat so, als habe sie ihn nicht verstanden. »Oh, mit dem jungen Mann habe ich noch was vor. Er wird jetzt ein paar Bier trinken, um über die Sache hinwegzukommen, aber das werden seine Freunde natürlich nicht zulassen. Bis ich mein Zimmer bezogen habe, das Gepäck habe nachkommen lassen und mich ein bißchen frischgemacht habe, hat er einen kleinen Schwips. Dann gehe ich zu ihm. Wenn er mich sieht, wird es ihm ein klein wenig peinlich sein. Er wird durcheinander sein.
    Dann gebe ich ihm Gelegenheit, sich über seine Gefühle klarzuwerden.«
    »Was den Erfolg Ihrer Methoden angeht, so habe ich da ... hm ... meine Zweifel.«
    »Vertrauen Sie mir«, sagte Chu. »Ich mache das nicht zum erstenmal.«
    »Aha«, meinte der Bürokrat zerstreut. Dann: »Wie wär's, wenn Sie schon die Zimmer buchen würden, während ich Gregorians Mutter aufsuche?«
    »Ich dachte, Sie wollten erst morgen mit ihr reden.«
    »Ach, wirklich?« Der Bürokrat machte einen Bogen um einen verrottenden Stapel Lastwagenreifen. Er hatte die Bemerkung in Bergiers Anwesenheit gemacht. Er vertraute dem Mann nicht. Er hielt es nur für allzu wahrscheinlich, daß Bergier nachts einen Boten zur Mutter schicken würde, um sie davor zu warnen, sich mit ihm zu unterhalten.
    Viel wichtiger war die Frage, woher der falsche Chu seine Informationen hatte. Er hatte nicht nur Chus Namen gekannt, sondern hatte das Luftschiff auch verlassen, kurz bevor die echte Chu an Bord gekommen war. Außerdem hatte er gewußt, daß man den Bürokraten nicht darüber informiert hatte, sein Verbindungsoffizier werde eine Frau sein.
    Irgendein Mitglied der Befehlskette, entweder innerhalb der Planetenregierung oder in der Abteilung für Techniktransfer, arbeitete mit Gregorian zusammen. Das mußte nicht unbedingt Bergier sein, dennoch war der Kommandant ebenso verdächtig wie jeder andere.
    »Ich hab's mir anders überlegt«, sagte er.

3 - Der Tanz der Erben
    Sonnenuntergang. Die Stolze Prospero war eine Piratengaleone, die der Nacht entgegensegelte. Sie berührte den Horizont, und während sie zu einem Oval abflachte, setzte sie ganze Erdteile aus Wolken in Brand. Die Schatten unter den Bäumen verflüchtigten sich zu blauer Luft. Der Bürokrat
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