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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas
Autoren: Carsten Henn
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stieß.
    Auf dem Rückweg zu seinem Audi bemerkte Julius am unteren Ende der
Lage Klostergarten einen Wanderer. Und dessen strahlend rote Socken kamen ihm
merkwürdig bekannt vor.
    Die Fahrt über die A61 Richtung Koblenz
dauerte erwartungsgemäß nicht lange. Aber bis sich Julius mittels Stadtplan zum
Moselring 10–12 durchgekämpft hatte, lagen seine Nerven
blank. Der chronische Stop-and-go-Verkehr verbunden mit Julius’ momentaner
Anspannung ergaben eine explosive Mischung. Da wollte er nur kurz zur Polizei
fahren, um persönlich von dem Fass zu berichten, wollte also etwas Sinnvolles
tun, da bestrafte ihn das Schicksal unbarmherzig mit einer Horde dummer
Autofahrer.
    All die angestaute Spannung wich einer Art bürokratischer Ehrfurcht,
als er das Gebäude des Koblenzer Polizeipräsidiums, in dem sich die zentrale
Kriminalinspektion verbarg, in voller Größe wahrnahm. Viel anonymer konnte man
nicht bauen, selbst in Deutschland nicht. Das zweigeteilte, ehemals weiße, aber
längst durch die Stadtluft ergraute Hochhaus bot endlose Reihen von getönten
Fenstern, die nicht im Geringsten verrieten, dass hinter ihnen über Schicksale
entschieden wurde. Genauso gut hätte das Gebäude eine Versicherung oder eine
Privatbank beherbergen können.
    Julius betrat das Präsidium und fühlte sich mit einem Schlag
unwohler als eine Katze in der Badewanne. Obwohl er nichts verbrochen hatte,
kam es ihm vor, als könnte ihn die Polizei direkt dabehalten. Irgendwas hatten
die doch gegen jeden in der Hand! Julius versuchte sich einzureden, dass dies
nur die normale Paranoia eines jeden Bundesbürgers war, der die Datenschutzdebatten
aufmerksam verfolgt hatte. Aber es half nicht. Es erging ihm wie in
Krankenhäusern. Einmal unbedarft gehustet, konnte man sich schnell in einem
kargen Kassenbett wiederfinden. Das Polizeipräsidium zählte eindeutig zu der
Gruppe von Gebäuden, die man weder als Betroffener noch als Besucher gerne
betrat. Es ging Unheil von ihnen aus. Aber Gisela musste im Namen der Sippe
geholfen werden, also straffte Julius seinen unwillkürlich erschlafften Körper
und ging mit raumgreifenden Schritten auf die Anmeldung zu.
    »Guten Tag, Eichendorff mein Name, Julius Eichendorff. Ich möchte
zur …«, er zog einen sauber gefalteten Zettel aus der Jackentasche,
»… zum K 11.«
    »Und zu wem wollen Sie im Fachkommissariat Kapitaldelikte?«, fragte
eine unbeteiligte Stimme hinter der Panzerglas-Schutzscheibe.
    Julius sah wieder auf den Zettel. Manchmal konnte selbst er seine
Schrift nicht entziffern. »Zu Frau von Keuschenberg.«
    »Frau von Reuschenberg?«
    »Ja, das könnte es auch heißen.«
    »Die ist nicht da.«
    »Aber ich habe heute Morgen noch mit ihr telefoniert.«
    »Jetzt ist sie aber nicht da. Sie ist nach Mayen gefahren, um dort
mit den Kollegen von der Polizeipuppenbühne etwas zu besprechen.«
    »Ah, so …«
    Das klang ja wirklich wichtig! Da fuhr diese Frau von Reuschenberg
also seelenruhig zur uniformierten Ausgabe der Augsburger Puppenkiste, während
seine Großkusine unschuldig hinter schwedischen Gardinen versauerte. Julius
musste extrem verärgert ausgesehen haben, denn die unbeteiligte Stimme zeigte
Mitleid.
    »Sie können auf sie warten. 3. Stock, zweite
Tür links, Raum 341. Die Kollegin wird
bald wieder da sein.«
    In Wartezimmer 341 angekommen,
erwartete Julius eine Überraschung.
    Dort saß auf einem braunen Plastikstuhl die Wäscherei und Heißmangel
Mallmann. Oder genauer: deren fleischliche Manifestation Frau Mallmann. Sogar
im weißen Arbeitskittel. Julius hatte immer schon vermutet, dass sie den
niemals ablegte. Er hatte sie noch nie ohne gesehen, was ihm angesichts ihrer
wogenden Körperformen auch ganz lieb war.
    »Frau Mallmann! Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet, Sie hier zu
sehen.«
    Es dauerte lange, bis die sonst so redselige Wäscherin und
Heißmanglerin antwortete.
    »Ja … ja, aber ich kann ja nun nichts dafür. Es ist doch meine
Pflicht!«
    Das ging jetzt ein bisschen schnell.
    »Wofür können Sie nichts, Frau Mallmann?«
    »Ich musste das doch melden! Und dann sind sie es direkt abholen
gekommen. Zwei Beamte aus Bad Neuenahr waren das. Und die haben gesagt, ich
muss sofort nach Koblenz fahren, obwohl ich ja überhaupt keine Zeit habe!
Montags ist doch bei uns immer so viel los!«
    Julius nahm den nächsten Anlauf.
    » Was mussten Sie melden?«
    »Das Nachthemd! So was hab ich ja noch nie gesehen! Und weil der
Herr Schultze-Nögel doch ermordet wurde. Der
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