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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas
Autoren: Carsten Henn
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sich nun. Wie ein riesiger Gummi radierte
Nüchternheit das charmante Lächeln aus dem Gesicht.
    »Wie darf ich das verstehen?«
    »Nun. Ich hoffe, nein ich denke, nein ich weiß, dass Sie falsch
liegen, was Ihren Verdacht bezüglich meiner Großkusine angeht. Insofern hoffe
ich, dass Sie deswegen Ärger mit Ihrem Chef bekommen. Allerdings wäre es mir
noch lieber, wenn Sie Unrecht hätten und trotzdem keinen Ärger
bekämen. Ich bin kein so rachsüchtiger Mann wie Jupp.«
    »Das beruhigt mich. Aber Sie haben doch mitbekommen, weswegen Frau
Mallmann hier war?«
    »Ja.«
    »Erhärtet das nicht den Verdacht gegen Ihre Großkusine?«
    »Tut es. Aber ich habe etwas, das ihn erschüttert.«
    »Ich bin gespannt.«
    Sie lehnte sich zurück. Inmitten all der Pflanzen fielen Julius die
katzenhaften Züge ihres Gesichts auf. Die klugen Augen hinter der kleinen, runden
Brille und die hohen Wangenknochen. Es war, als lauerte sie auf den nächsten
Sprung. Julius erzählte ihr von dem Fass, seinem Gespräch mit dem Kellermeister
und seinem Vorhaben, auch Gisela danach zu befragen. Die Katze sprang nicht.
Stattdessen entspannte sie sich und bot Julius einen Kaffee an.
    »Nein, nie. Nur Tee, wenn Sie haben.«
    »Leider nicht. – Unfassbar, dass die Spurensicherung das
übersehen hat!«
    »Die schienen mir auch mehr mit Rauchen als mit Spurensichern
beschäftigt zu sein.«
    Frau von Reuschenberg nahm einen Schluck heißen Kaffee und bleckte
anschließend die Zähne. »Ich werde der Sache natürlich nachgehen. Was Ihre
Großkusine angeht, die ist in der JVA an der Simmerner Straße, hier in Koblenz, untergebracht. Ich mach Ihnen einen
Vorschlag: Ich ruf jetzt den ermittelnden Staatsanwalt wegen einer
Besuchserlaubnis an, und Sie holen die im Justizgebäude ab. Wenn Sie sich
beeilen, können Sie Ihre Großkusine noch heute sehen.«
    Und genau so war es dann auch.
    Ein Tisch, zwei Stühle, kein Fenster und ein Justizvollzugsbeamter
waren alles, was sich im Raum befand.
    Gisela saß Julius gegenüber und war hörbar schockiert über das Fass.
    »Nein, davon habe ich nichts gewusst!«
    »Weißt du, wer …?«
    »Du kennst … du kanntest ihn doch. Immer mit dem Kopf durch die
Wand. Und alle haben sie ihm vorn auf die Schulter geklopft, und von hinten
hätten sie ihm am liebsten ein Messer reingejagt. Er hatte ein wenig Ärger mit
der Weinbruderschaft – aber das kann ich nicht glauben! Und da stand
wirklich ›Verräter‹ drauf?«
    »Ja.«
    Pause.
    »Julius, sei bitte ehrlich zu mir! Die Polizei sagt mir nicht
richtig, was los ist. Wie … wie steht es um mich?«
    Diese Frage überraschte ihn. Gisela war nicht die Frau, die sich
sorgte, wenn sie im Recht war. Den Glauben an Gerechtigkeit hatte sie mit der
Muttermilch aufgesogen, wie alle in der Sippe. Julius wusste aus leidvoller
Erfahrung in Form zahlloser Streitereien mit ihr, dass sie zum Kampf neigte und
nicht zur Resignation.
    Allerdings nur, wenn sie wusste , dass sie
im Recht war.
    »Ich glaube, du hast einige wirkliche Probleme, Großkusinchen.«
    »Julius, ich …« Ihre Stimme wurde zittrig und wirkte plötzlich
so zerbrechlich, als könnte sie jeden Augenblick in tausend Stücke bersten. Sie
lehnte sich vor und fuhr im Flüsterton fort: »Ich muss dir etwas
gestehen …«

II
    »Ordensmeister blau«
    Die Restaurantbrigade stand so aufgeregt im Speisesaal wie
kleine Kinder vor dem Eingang zur Achterbahn. Die Augen weit aufgerissen,
unruhig das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagernd, beständig
tuschelnd. Das Service-Team wollte endlich an die Tröge: Probeessen stand auf
dem Terminplan! Franz-Xaver schob einen Menüwagen herein, gefolgt von Julius,
der sich anschickte, die sechsköpfige Crew noch etwas zu quälen. Denn
schließlich ging es nicht darum, die Mägen der Anvertrauten mit Feinstem aus
der Küche zu füllen, sondern sie für den Abend zu informieren, was auf den
Tellern prangte. Und zwar so exakt, dass keine Frage eines Gastes unbeantwortet
bleiben würde. Franz-Xaver verteilte die zum Probieren nötigen kleinen Löffel,
Gabeln und Messer, damit die Wartenden schon mal etwas hatten, woran sie sich
festhalten konnten. Das durch die mit weißen Holzkreuzen verzierten Fenster
hereinfallende Licht funkelte verheißungsvoll in den Saucen und gab ihnen den
Glanz flüssiger Kunstwerke.
    Julius nahm Positur an und hob die Stimme.
    »Liebes Team, es ist wieder so weit! Der Herbst schreitet voran, der
Warenkorb füllt sich mit anderen Spezereien, unser
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