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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas
Autoren: Carsten Henn
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betrunken,
dass er nicht mehr weiß, warum das Nachthemd über und über voll mit
Rotweinflecken ist.«
    Franz-Xaver schaute ihn überrascht an. Noch bevor er zu einer Frage
ansetzen konnte, gab Julius die Antwort.
    »Ich hab gestern mit Gisela gesprochen. Sie hatte Streit mit Siggi,
großen Streit, mal wieder. War ja kein Kostverächter, unser Siggi, wirklich nicht.
Ein Genie, natürlich, aber halt auch eines, das meinte, es könne sich alles
herausnehmen.«
    »Die holde Weiblichkeit?«
    Julius nickte matt.
    »Dann werden die Herrschaften von der Polizei sie noch a weng länger
in der Obhut behalten.«
    »Die wissen von nichts, und so soll das auch bleiben. Gisela hat
denen erzählt, sie hätte geschlafen und nichts mitbekommen. Ich muss ihr da
schnell raushelfen.«
    »Schau, Kamerad, ich glaub fast, du bist da in eine Sachen
gestolpert, die weitaus weniger überschaubar ist als deine geliebte Küchen.«
    Julius musste schmunzeln. Diesen Eindruck hatte er auch. Und
eigentlich pflegte er eine natürliche Abneigung gegen alles, was ihn von seinem
Herd fern hielt. François kam mit dringlichen Schritten herein.
    »Ich habe gerade festgestellt, dass wir nicht mehr genug
›Balthasar B.‹ im Keller haben. Ich kann einen anderen Wein aussuchen oder
noch mal kurz zur Porzermühle fahren.«
    Julius erhob sich schwerfällig.
    »Ist schon gut, ich muss mich sowieso mal wieder beim August blicken
lassen. Da kann ich die Flaschen auch gleich mitbringen.«
    Die Fahrt zur Porzermühle glich stets dem Übertritt in
eine andere, bessere Welt. Alice im Wunderland gleich, die einen Zaubertrank
einnahm und schrumpfte, um ins Märchenreich gelangen zu können, führte der Weg
zu August Herolds imposantem Weingut, sobald man von der breiten B267 in den kleinen Ort Mayschoß abbog, durch
enge Gässchen, auf denen gerade mal ein Wagen mit Müh und Not Platz fand. Es
war, als würde die Welt um einen herum verhutzeln. Und die Winkel, in denen die
Sträßchen aufeinander stießen, waren so surreal wie Bilder von
M.C. Escher. Wie ein städteplanerisches Mikado fiel die eine auf die
andere, und jederzeit drängte sich der Eindruck auf, alles könne in sich
zusammenfallen, das Märchen könne enden.
    Als Julius diesen ersten Teil der abenteuerlichen Reise hinter sich
hatte, folgte das Mayschosser Äquivalent eines Tunnels, an dessen Ende ein
helles Licht schien. Zwischen Weinbergen und Campingplatz führte ohne wirkliche
Straßenbegrenzung ein Weg hindurch, und auf der anderen Seite wartete die
Verheißung in Form des weiß getünchten Chateau Porzermühle. Julius parkte
direkt neben dem gusseisernen Eingangstor und genoss die herrliche Aussicht auf
den gut dreihundertfünfzig Meter hohen und mit unzähligen Reben bestockten
Mönchsberg, zu dessen Füßen, einem antiken Amphitheater gleich, die Porzermühle
lag. Etwas oberhalb des von der Sonne wie stets verwöhnten Kernstücks der
imposanten Lage stach etwas farblich hervor. Julius sah genauer hin und machte
einen roten Punkt aus, der sich bewegte. Dann blitzte es auf. Es war wie eine
Reflexion, von einem Fernglas stammend.
    Julius entschied, sich darüber keine Gedanken zu machen, davon hatte
er bereits mehr als genug. Schon von weitem war zu erkennen, dass August Herold
im prachtvollen Wintergarten, den er als Probierraum nutzte, eine seiner
Grundsatzreden hielt. Die enthusiastische Körpersprache ließ gar keinen anderen
Schluss zu. Julius machte sich am Eingang des gläsernen Verkostungstempels
bemerkbar.
    »Julius, grüß dich, komm rein! Kann ich dir was anbieten?«
    Die richtige Antwort konnte nur lauten: »Aber immer!«
    »Setz dich!«
    Flugs war sein Glas mit einem Rosé gefüllt. Julius schnupperte
daran. Kein Zweifel, ein ›Salm d’Ahr‹, der beste Rosé des Gebiets. Herold fuhr
postwendend mit seiner kurzzeitig unterbrochenen Rede fort. Julius kannte sie
zur Genüge, aber dank Augusts mitreißender Art konnte er sie immer wieder
hören.
    »Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, ich will der Beste sein. Das
sag ich auch ganz offen! Denn wo kommt man hin, wenn man keine Ziele hat?
Nirgendwo! Ich hab grad erst wieder ein kleines Stück in bester Lage dazukaufen
können. Kostet mich natürlich ein Vermögen! Aber man darf nicht kleinlich sein,
wenn man den besten Wein machen will! – Und, wie gefällt er Ihnen?«
    Das herausgeputzte Pärchen, das brav wie in der Schule zugehört
hatte, überschlug sich mit Superlativen. Julius musste lächeln. August Herold
hatte zweifellos eine
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