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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas
Autoren: Carsten Henn
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da an, das versprech ich dir!«
    Julius war froh, dass er an diesem Abend arbeiten musste.
Er war froh über jedes Ossobuco mit Spätburgundertrauben, jedes »Dreigestirn«,
jedes Wildschweinfilet an grünem Spargel und Morcheln, jedes Gigot vom
Milchlamm, das er mit seinem innig geliebten Wüsthof-Messer bearbeiten konnte,
und erst recht über jede aufwändige Languste auf Blattspinat mit
Krebsrahmsauce. Er war froh über jedes Stück, das er in die Pfanne legen, jedes
Gewürz, das er zugeben konnte, jede Dekoration, die es auf einem Teller zu
drapieren galt. Das lenkte ab und ließ ihn nicht an den Mord in der Kelterhalle
denken. Nur einmal wurde sein Gedächtnis unangenehm aufgefrischt, als
Franz-Xaver, chronisch unsensibel, wie es seine Wiener Art war, mit süffisantem
Lächeln erzählte, dass die Weine von Schultze-Nögel besser liefen als je zuvor.
Jeder bestelle sie, egal, ob diese zum Essen passen würden oder nicht. Aber
selbst der Zorn darüber verrauchte schnell, weil all die verlockenden Gerüche
wieder Julius’ Geist einnebelten. Als er um ein Uhr morgens in sein barockes
Himmelbett fiel, schlief er sofort ein.
    Das leise Klingeln des Telefons hätte Julius sicher
überhört und weitergeschlafen, aber leider hatte es Herrn Bimmel aus seinen
Katerträumen gerissen. Nun saß dieser laut maunzend vor dem Unruhestifter, so,
als könnte er ihn durch ausgiebigen Gesang besänftigen. Julius war wach. Selbst
die süßesten Träume konnten dieses Konzert aus Miauen und Klingeln nicht
überdecken. Der so rüde Geweckte schleppte sich schlaftrunken zum Telefon, im
Dunkeln gegen Tisch und Kratzbaum stoßend.
    »Eichendorff.«
    »Julius, es ist etwas Schreckliches passiert!«
    Die kieksende, überdrehte Stimme klang nach Annemarie, Giselas
Schwägerin. Eine Frau, mit der man nach Julius’ Meinung besser nicht ins
Gespräch kam.
    »Hm.«
    »Hab ich dich geweckt?«
    Julius blickte auf die Uhr im Telefondisplay. Angesichts der
Tatsache, dass es acht Uhr morgens und er Koch war, wirkte diese Frage schon
ein wenig unverschämt. Aber Julius war noch zu maulfaul, um seinem Ärger Luft
zu machen. Es war einfach zu anstrengend, die Zähne zu bewegen.
    »Ja.«
    Sie ging nicht darauf ein. »Julius, du kennst doch so viele wichtige
Persönlichkeiten. Du musst etwas für Gisela tun! Sofort !«
    Als er merkte, wie dringlich Annemaries Stimme klang, wurde er mit
einem Mal wach. Es war, als hätte ihm jemand einen Eimer Wasser über den Kopf
geschüttet.
    »Was ist denn mit Gisela?«
    »Ach, das weißt du ja noch nicht! Ich bin doch die Nacht hier
geblieben, damit die Gisela nicht so allein ist. Und heut Morgen standen sie
dann schon ganz früh vor der Tür. Die haben sie festgenommen! Wegen Siggi! Sie
meinen, sie hätte …«
    Annemarie brachte die nächsten Worte nicht heraus, zu unglaublich
mussten sie ihr erscheinen.
    »Wie kommen die denn auf so was?«
    »Du kennst doch die Nachbarn! Irgendwer hat wohl von einem lauten
Streit in der letzten Nacht erzählt, und Gisela muss ihm wohl auch gedroht
haben … also ihn … umzubringen.«
    »Typisch Gisela. Immer direkt auf hundertachtzig.«
    »Siggi muss auch Kratzspuren im Gesicht gehabt haben, die von Gisela
stammen. Du musst sie wieder rausholen, Julius!«
    »Wie soll ich das denn machen?!«
    »Du kennst so viele wichtige Leute! Ruf doch einen deiner Freunde
an, die was zu sagen haben! Du hast von der Familie die besten Verbindungen!«
    »Annemarie, ich weiß nicht, ob ich da was machen kann. Aber ich ruf
gleich mal bei der Polizei an, in Ordnung?«
    »Ja, ja mach das! Und meld dich, wenn du was erreicht hast! Wir sind
alle ganz krank vor Sorge!«
    »Mach ich.«
    Julius starrte noch einmal auf die Ziffern im Telefondisplay. Diese
Uhrzeit hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Langsam sickerten die Informationen
in vollem Ausmaß in seinen vom Schlaf zerzausten Kopf. Als könnte Gisela ihrem
Mann etwas zu Leide tun! Sie wurde gerne laut, knallte mit Vorliebe Türen, warf
Einrichtungsgegenstände aus dem Fenster. Aber der Zorn war immer schnell
verraucht, und dann brauchte sie Harmonie. Onkel Jupp schien ausnahmsweise
Recht mit einer Einschätzung zu haben. Die Koblenzer hatten tatsächlich
jemanden geschickt, der keine Ahnung hatte.
    Natürlich brachte der Anruf bei der Kripo nichts. Obwohl
Julius die ermittelnde Kommissarin zu sprechen bekam – wie sich
herausstellte eine Blaublütige namens von Reuschenberg –, konnte diese ihm
auch nicht mehr sagen, als dass sich
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