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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas
Autoren: Carsten Henn
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überhaupt
keine Ideen gekommen. Er war nur neugierig. Nicht nur, wer Klaus Grad wirklich
war und wer Gründe haben konnte, ihn umzubringen, auch warum dies im
Regierungsbunker geschehen musste, und vor allem: Wie es sein konnte, dass der
Raum, in dem er den Toten gefunden hatte, von innen verschlossen war.
    Von Reuschenberg fing sich wieder. »Soso.«
    »Wir sollten uns am besten noch heute treffen, denn übermorgen mache
ich das Restaurant wieder auf.« Eigentlich, dachte Julius, war das kein Grund,
sich heute zu treffen. Morgen wäre genauso gut gewesen. Von Reuschenberg sah
das ähnlich.
    »Morgen wäre nicht früh genug?«
    Julius verfluchte nun, dass er das Rotweinglas vor dem Gespräch
nicht noch einmal gefüllt hatte. Nach einem Schluck ließ es sich so viel besser
lügen.
    »Morgen haben wir Inventur.«
    »Zufälle gibt es.«
    »Ja. Sehr ärgerlich.« Wieder folgte Schweigen, und Julius begann das
spiralförmige Telefonkabel um den Zeigefinger zu wickeln.
    »Ich muss zugeben, dass mir die Vorstellung gefällt, wieder mit
Ihnen zusammenzuarbeiten. Das war beim letzten Mal ja sehr fruchtbar, auch wenn
es einige Komplikationen gab und Sie mir die Lorbeeren geraubt haben. Die Presse
hat sich ja geradezu auf Sie gestürzt, als Sie den Preis für Zivilcourage des
Innenministers erhielten.«
    »So etwas wird nie wieder passieren. Ein Anfängerfehler, sonst
nichts.« Julius machte mit der Schnur um seinen Mittelfinger weiter. »Sie
standen aber auch ganz schön im Rampenlicht, als Sie im Sommer den Doppelmord
am Deutschen Eck aufgeklärt haben.«
    »Wollen wir mit offenen Karten spielen?«
    Eine Fangfrage! Und Julius hatte sich seinem Ziel schon so nahe
gefühlt. Würde er die Informationen nun doch nur aus den Zeitungen bekommen?
Die wenigen, die diese überhaupt veröffentlichten.
    Natürlich gab es auf von Reuschenbergs Frage nur eine Antwort: »Ja.«
    »Sie haben Blut geleckt und wollen wieder mitmachen bei der
Mörderjagd.«
    Wenn man einmal bei der Wahrheit war, konnte man auch direkt damit
weitermachen. »Ja.« Immer raus damit! Julius ließ das Telefonkabel
zurückflitschen.
    »Sie können es nicht erwarten zu erfahren, was wir alles am Tatort
rausgefunden haben?«
    »Ja.«
    »Sie möchten am liebsten noch mal hin, um alles genau in Augenschein
zu nehmen?«
    »Ja.«
    »Und den ganzen Spaß, ohne vorher eine ordentliche Ausbildung als
Polizeibeamter zu machen?«
    »Ja.« Dieses »Ja«, dachte Julius, war wohl ein bisschen zu schnell
und freudig gekommen.
    »Tja.«
    »Tja was?«
    »Tja, unsere Treffen haben mir immer sehr gefallen. Ich hab sie
richtig … vermisst. Dann ziehen Sie sich mal gedeckte Kleidung an und
schwingen Ihren Sternekochpo zum Bunkereingang in Marienthal.«
    »Der Sternekochpo ist schon unterwegs!«
    Julius zögerte keinen Augenblick, zog die Daunenjacke an,
holte die Handschuhe aus den Seitentaschen, legte sich den blaugrünen
Tartan-Schal um. Sein Gehirn lief währenddessen heiß. Julius begann zu zählen.
Die Gruppe bestand, inklusive Tourführer, aus vierunddreißig Personen. Das wusste
er genau, denn sie waren am Eingang des Regierungsbunkers durchgezählt worden.
Einer dieser vierunddreißig war ermordet worden, und einer war er selbst –
blieben zweiunddreißig Verdächtige. Das heißt, wenn es keine weiteren Gruppen
gab, die während der Tatzeit in der Anlage waren. Oder Angestellte der
Bunkerverwaltung.
    Julius blickte noch einmal ins Wohnzimmer.
    Den ganzen Tag im warmen Haus bleiben, in molligen
Schafwoll-Schlappen, einen heißen Tee mit Rum nach dem anderen schlürfen, der
dicke Kater friedlich auf dem Schoß schlummernd.
    Das war der Himmel.
    Aber die Hölle war so viel spannender.
    Er öffnete die Haustür, den Schlüssel in der Hand, bereit
abzuschließen. Doch etwas Sperriges stand ihm im Weg. Er hätte es riechen
müssen, denn der großzügige Einsatz von Haarspray ließ nur eine Vermutung zu:
Annemarie. Eine entfernte Verwandte und das selbst ernannte Sprachrohr der
Landplage, wie Julius seine Großfamilie zu bezeichnen pflegte.
    Wenn keiner von ihnen in der Nähe war.
    Annemarie litt an einer unheilbaren Lippenkrankheit. Sie bekam den
Mund einfach nicht zu.
    »Julius, gut, dass du da bist. Also, ich muss dir was erzählen.
Unbedingt! Weißt du, was ich heute erfahren habe?« Julius wollte ein Nein
erwidern, aber Annemarie hatte nicht wirklich eine Frage gestellt. Sie hatte
auch keine Pause gelassen.
    »Deine Kusine Anke.«
    Julius wartete auf die nächsten Worte, aber
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