Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
Rückenlehne zwischen den beiden Kreuzstockfenstern und streichelte ihren schwarzen Kater Beelzebub, der auf ihrem Schoß lag und seinen Schwanz keck in die Höhe spießte. Der Name Beelzebub freilich beleidigte dieses liebenswürdige Tier, das so sanft wie seine Herrin war und ihr auf Schritt und Tritt folgte.
    Ich habe einigen Grund, mich dieses Augenblicks zu erinnern, der mir noch nach so vielen Jahren ganz lebhaft im Gedächtnis ist. Durch die weit geöffneten Fenster – es war ein linder Oktober – fiel die Nachmittagssonne ein und überstrahlte in gleichsam staubiger Aureole Angelinas Haar von venezianischem Rot, das ihr Antlitz mit seinen langen Locken umrahmte. Sie trug keine Krause – Beelzebub hatte ihr beim Spielen einen Kratzer am Hals zugefügt –, sondern einen großen Kragen, der über einem Goldkettchen mit Kruzifix offen war. Ihr Gewand war aus mattgrüner Seide, besetzt mit Rubinen von dunklem Grün, was mich sehr bewegte, weil Grün die Farbe meiner Mutter gewesen. Das Schwarz der Iris ihrer großen Augen, die mich anschauten, schillerte nicht und funkelte nicht, es leuchtete aber so lind, so friedvoll ruhig, zart und warm, wie ich es nur von Hirschkühen kannte. Ich wußte nicht: soll ich mich wie ein Kind in ihren Schoß flüchten, oder soll ich sie in meinen Schutz nehmen.
    Ich begann meinen Bericht in der üblichen Art, schritt auf und ab, gestikulierte, wechselte den Ton; doch als Fontanette wieder in meine Erinnerung trat, rittlings auf dem Maulesel, die Hände auf dem Rücken gefesselt, wirkte da ein schrecklicher Zauber. Ich vermeinte, sie noch lebendig zu sehen: mit kläglicher Stimme und Tränen in ihrem schönen Antlitz erzählte sie, wie der boshafte Mann sie an den Galgen gebracht hatte. Herr und Heiland! alles stand mir wieder vor Augen. Meine Hand berührte ihre Schulter. Sie legte ihre Wange drauf. Ich wollte nicht glauben, daß Worte soviel Zauberkraft besitzen: ich hätte die Erinnerungen, die sie weckten, anfassen können, sie krampften mir das Herz zusammen und schnürten mir die Kehle zu, die Worte kamen nur noch stammelnd über meine Lippen.
    Ich konnte nicht zu Ende erzählen. Ich brach in Schluchzen aus. Mit verschleierten Augen sah ich Angelinas Haar in der Aureole der Sonne schillern. Beelzebub floh bei meinem Anblick von den Knien seiner Herrin, ohne daß sie ihn zurückzuhalten suchte; sie sah nur mich, und ihre großen schwarzen Augen leuchteten vor Mitgefühl. Da wagte ich in meiner Verzweiflung, was ich unter anderen Umständen nicht gewagt hätte: ich warf mich Angelina zu Füßen, schlug die Hände vors Gesicht und weinte. Sie rührte sich lange Zeit nicht, obwohl sie am ganzen Körper bebte, doch da meine Tränen nicht versiegten, legte sie mir ihre rechte Hand streichelnd auf den Schopf, ganz sacht und zart, wie eine Mutter ihr Kindchen liebkosen mag. Ich wußte nicht, ob dies nur eben Bedauern oder Ausdruck auch von anderen Gefühlen war, und in diesem zweifelsvollen Wägen besänftigte sich mein Kummer; ich hielt nur noch die Hände über dem Gesicht, weil ich fürchtete, daß sie sonst schamvoll ihre Hand von meinem Haupt nähme.
    Endlich obsiegte mein Drang, sie anzuschauen. Ich nahm die Hände vom Gesicht, sie nahm ihre von meinem Schopf und sprach:
    »Pierre, habt Ihr dieses arme Mädchen geliebt?«
    »Ich bin ihm ein guter Freund gewesen. Geliebt habe ich bis zu dieser Minute, da ich zu Euch spreche, noch kein anderes Mädchen.«
    Während ich dies sagte, ruhte ihr Blick lange auf mir, gleichsam in stummer Erwartung, daß ich in meiner Rede fortführe. Was ich auch tat, ermuntert durch ihr Schweigen, doch sehr verwundert über meine Worte, die meinen Gedanken vorauszueilen schienen.
    »Angelina, ich bin Zweitgeborener und muß mir mein Vermögen erst erwerben. Wärt Ihr bereit, auf mich zu warten?«
    Ich erhob mich von ihren Füßen und trat etwas zurück, als Geste, daß ich meine Vertraulichkeit nicht überspannen wollte. Sie schien von meinen Worten überrascht. Doch da sie die Lider gesenkt hielt und ihr Gesicht nun nicht mehr Spiegel ihrer Gedanken war, vermochte ich nicht zu erkennen, wie sie mein Angebot aufnahm.
    Schließlich stand sie mit der ihr eigenen Unbefangenheit auf und sagte, ohne mich anzuschauen, ohne mich beim Namen zu nennen, nur mit einem Kopfnicken:
    »Ich wünsche Euch einen guten Abend.«
    Mir krampfte sich das Herz zusammen, ich glaubte alles verloren, indessen sie unendlich langsam der Tür zustrebte. Die rechte Hand schon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher