Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
wandelte auffallend gemach und tat einen einzigen Schritt, unterdessen ich wohl drei getan hätte.
    Monsieur de Montcalm lebte auf Barbentane in großer Ungeduld, seit er von mir wußte, wie François Pavée sein schönes Haus in Nîmes geplündert hatte. Mit bitteren Beschwerdeschreiben hatte er sich an den Gerichtshof zu Aix gewandt, der ihm klüglich antwortete, daß diesen schändlichen Ausschreitungen ein Ende bereitet würde, sobald die königliche Autorität in Nîmes wiederhergestellt sei. Doch so weit war es noch lange nicht, der Bürgerkrieg dauerte an, das Waffenglück wechselte hin und her zwischen den Truppen des Königs und den Unseren. Und Monsieur de Montcalm, in Unruhe, zu Tatenlosigkeit verurteilt und darum gereizt, wollte sich um die Bewirtschaftung von Barbentane kümmern, was ihm weniger gut zu gelingen schien als den Herren Brüdern in Mespech, da ihm die hugenottische Tugend der Sparsamkeit abging.
    Er mochte mich gut leiden, obwohl ich anderen Bekenntnisses, bewunderte vor allem, daß ich schon so viele Abenteuer bestanden hatte, und bat mich, sie ihm zu erzählen, um seine Langeweile zu vertreiben. Als Angelina davon hörte, verdroß es sie sehr, daß sie am Vormittag (da ihre Mutter lange schlief) die Kammermädchen anzuleiten hatte.
    »Ha, Monsieur de Siorac«, sprach sie, an meinem Bett sitzend, »es bekümmert mich sehr, daß meine Pflichten mich davon abhalten, die Berichte zu hören, die Ihr meinem Vater gebt.«
    Und sie ließ ohne jede Koketterie, ohne sich der Schönheit und Güte ihres Blicks bewußt zu sein, ihre dunklen Augen auf mir ruhen.
    »Oh, Madame, ich bin Euer Diener und gern bereit, diese Erzählungen vor Euch zu wiederholen, wenn Ihr Gefallen daran habt.«
    »Das würdet Ihr tun?« fragte sie mit ungestümer Freude, darin plötzlich wieder das kleine Mädchen, das sie einmal gewesen, sichtbar wurde.
    »Aber gewiß!«
    »Es würde Euch nicht langweilen?«
    »Ganz und gar nicht.«
    »Ha, Monsieur de Siorac, Ihr seid so liebenswürdig!«
    Mehr sagte sie nicht, denn im Finden der rechten Worte war sie nicht gar so geschickt, sondern bewies im Gespräch die gleiche fahrige Langsamkeit wie in ihren Körperbewegungen. Als sie indes (sehr bald!) Zutrauen in mich gewann, wurde sie eine Plaudertasche.
    Da meine Erzählungen länger dauerten als üblicherweise Angelinas Besuche, mußte Madame de Montcalm um Erlaubnis gefragt werden. Sie gab selbige, nahm sie zurück, erteilte sie neuerlich, wollte selbst mit zugegen sein, wurde mein Erzählen leid, ging, kam wieder, ging – und ließ uns am Ende so lange allein, wie uns genehm war.
    Für Monsieur de Montcalm befleißigte ich mich, ernste, zeremoniöse, notfalls auch reuige Berichte zu geben, dabei ich seinem Papismus gebührend Rechnung trug, anderenfalls er sich verletzt gefühlt hätte. Angelina dagegen bot ich, wenn Madame de Montcalm sich davongemacht, lebendigere Geschichten, freilich
ad usum delphinae
1 ; aus meinen Geliebten wurden eben Freundinnen, von denen ich mit einer Unschuld sprach, für die meine Zuhörerin das Modell lieferte. Und zumal ich schon aufstehen konnte und gestikulieren, wenn auch nicht mit dem linken Arm, schritt ich hin und her, mimte meine Abenteuer wie auf einer Bühne und wechselte Ton und Stimme je nach der geschilderten Person. Angelina war ganz Auge und Ohr, versetzte sich völlig in meine Geschichte, gab sich bekümmert oder lachte lauthals, lebte so sehr mein eigenes Leben, daß sie erbleichte, ja fast in Ohnmacht fiel, als die Exhumierung der Toten mich um ein Haar aufs Schafott brachte.
    »Ach, Pierre, was für unsinnige Streiche! Welch unglaubliche Gefahren!« rief sie. »Wie ich um Euch zittere!« Und ihre Augen waren so voller Mitgefühl, daß ich ob dieser mütterlichen Besorgnis meine Worte nicht mehr fand.
    Selbige bewegten sie noch, wenn wir in der Nacht und am Vormittag getrennt waren, denn an den gemeinsamen Nachmittagen, die länger und länger wurden, bestürmte sie mich von Beginn an mit Fragen, die als indiskret hätten gelten müssen, wäre die Fragerin nicht so naiv gewesen.
    »Aber Pierre, warum habt Ihr Madame de Joyeuse so häufig besucht? Welchen Reiz konnte es haben, Euch mit einer alten Dame zu unterhalten, die über die Dreißig hinaus ist?«
    »Ich habe viel dabei gelernt«, sagte ich. Was freilich in anderem Sinne zutraf als dem unterstellten.
    Samson hätte mir meinen regen Umgang mit Angelina gewiß verübelt, wäre nicht Monsieur de Montcalm über die Maßen vernarrt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher