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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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clever zu sein. Du glaubst, wenn du es schaffst, mir einzureden, du hättest mich nie gesehen, lasse ich dich vielleicht gehen.« Wieder dieses pfeifende Lachen. »Darüber denkst du nach, während du hier liegst, nicht wahr? Denkst du wirklich daran, in die Welt zurückzukehren?«
    Schlagartig fühlte ich mich so elend, dass ich beinahe losgeheult hätte. Aber seine Worte verrieten mir auch, dass wir uns tatsächlich schon über den Weg gelaufen waren. Er hatte mich nicht einfach in einer dunklen Gasse hinterrücks gepackt und mir eines über den Schädel gezogen. Kannte ich diesen Mann? Würde mir sein Gesicht vertraut vorkommen, wenn ich es sehen könnte?
    Würde ich seine Stimme wiederkennen, wenn er normal mit mir spräche?
    »Wenn Sie mir sowieso nicht glauben, dann spielt es doch keine Rolle, wenn Sie mir davon erzählen, oder?«
    Der Lumpen wurde mir wieder in den Mund gerammt.
    Ich wurde hinuntergehoben und zum Eimer geführt.
    Zurückgetragen. Wieder auf dem Mauervorsprung abgesetzt. Diesmal ohne Drahtschlinge. Ich schloss daraus, dass er nicht vorhatte, das Gebäude zu verlassen.
    Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht, nahm deutlich seinen Geruch wahr.
    »Du liegst hier und versuchst dir auf alles einen Reim zu machen. Das gefällt mir. Du glaubst, wenn du mich davon überzeugen kannst, dass du nicht in der Lage bist, mich zu identifizieren, dann werde ich bloß eine Weile mit dir spielen und dich dann laufen lassen. Aber du verstehst nicht. Du begreifst nicht, worum es mir geht. Trotzdem gefällt mir das.«
    Ich lauschte seinem kratzigen Flüstern, horchte in mich hinein, ob mir die Stimme irgendwie bekannt vorkam.

    »Jede ist anders. Kelly beispielsweise. Nehmen wir Kelly.« Er rollte den Namen in seinem Mund herum, als wäre es ein Karamellbonbon. »Sie hat nur geheult, die ganze Zeit geflennt. Es war von mir gar nicht geplant, sie flennte bloß dauernd. Da war es eine gottverdammte Erleichterung, ihr einfach das Maul zu stopfen.«
    Nicht weinen, Abbie. Du darfst ihm nicht auf die Nerven gehen. Du darfst ihn nicht langweilen.

    Der Gedanke kam aus der Dunkelheit. Er hat mich bis jetzt am Leben erhalten. Das hieß aber nicht, dass er meinem Leben nicht trotzdem schon ein Ende gesetzt hatte. Ich befand mich nun seit zwei, drei oder vier Tagen in diesem Raum. Man kann wochenlang ohne Nahrung leben, aber wie lange kommt ein Mensch ohne Wasser aus? Wenn ich einfach nur in diesen Raum gesperrt worden wäre, ohne dass sich jemand um mich gekümmert hätte, dann wäre ich jetzt bereits tot oder läge im Sterben.
    Das Wasser, das ich getrunken hatte, war sein Wasser. Das Essen in meinem Bauch war sein Essen. Ich war wie ein Tier auf seinem Bauernhof. Ich gehörte ihm und wusste nichts über ihn. Außerhalb dieses Raums, draußen in der Welt, galt dieser Mann wahrscheinlich als häßlich, abstoßend, als Versager. Vielleicht war er zu schüchtern, um mit Frauen zu reden, vielleicht schikanierten ihn seine Kollegen.
    Hier aber war ich sein Eigentum. Er war mein Gebieter, mein Vater und mein Gott. Wenn ihm danach zumute war hereinzukommen und mich lautlos zu erdrosseln, konnte er das tun. Ich musste jede wache Minute darauf verwenden, über die Frage nachzudenken, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Wie ich ihn dazu bringen konnte, mich zu lieben oder zumindest zu mögen oder aber Angst vor mir zu haben. Falls es ihm darum ging, den Willen einer Frau zu brechen, bevor er sie tötete, dann musste ich stark bleiben. Falls er Frauen wegen ihrer Feindseligkeit ihm gegenüber hasste, dann musste ich nett zu ihm sein. Falls er gern Frauen quälte, die ihn zurückwiesen, dann musste ich … was? Ihn annehmen?
    Welcher Weg war der richtige? Ich wusste es nicht.
    Auf jeden Fall und vor allen Dingen musste ich aufhören, mir einzubilden, dass es wahrscheinlich keine Rolle spielte, was ich tat.

    Ich zählte nicht, wie viele Minuten ich die Drahtschlinge nicht trug. Es erschien mir nicht wichtig. Nach einer Weile kam er wieder herein. Ich spürte seine Gegenwart. Eine Hand auf meiner Schulter ließ mich erschrocken zusammenfahren. War er gekommen, um nachzusehen, ob ich noch lebte?

    Ich hatte zwei Möglichkeiten. Ich konnte der Situation mithilfe meiner Phantasie entfliehen. Der gelbe Schmetterling. Kühles Wasser. Wasser zum Trinken und zum Untertauchen. Ich versuchte, in Gedanken meine alte Welt wieder auferstehen zu lassen. Meine Wohnung. Ich ging durch die Räume, betrachtete die Bilder an der Wand,

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