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In seinem Bann

In seinem Bann

Titel: In seinem Bann
Autoren: Anaïs Goutier
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mir sagen ließ.
    »Gestatten Sie mir, Sie auf einen Kaffee einzuladen?« fragte er, nachdem wir beide bezahlt hatten.
    Ich sah auf meine Uhr, obwohl ich in Wirklichkeit keinen Termin hatte, den es einzuhalten galt.
    »Ja gern, warum nicht«, sagte ich schließlich und rang mich erneut zu einem Lächeln durch.
    Wir gingen die wenigen Schritte zum Café Libretto in der Hasengasse, direkt neben der Zentralbibliothek. Gerade wurde einer der Tische auf der schmalen Veranda frei.
    »Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?« fragte Jacques Lezard unvermittelt, nachdem wir bestellt hatten. »Sie sehen sehr blass aus, Mademoiselle.«
    Es klang besorgt und auf irritierende Weise freundschaftlich anteilnehmend.
    »Ich sagte doch, mir geht es bestens«, wiederholte ich nachdrücklich und versuchte mich an einem weiteren Lächeln, das mir diesmal jedoch gründlich misslang.
    »Dann verkraften Sie es offenbar besser als er«, entgegnete Jacques Lezard in neutralem Ton.
    »Wie bitte?« Ich runzelte die Stirn.
    »Er wirkt wie ein Schatten seiner selbst.«
    »Sie haben Ian getroffen?«
    »Ja, am Samstag. Er ist aber schon am gleichen Abend weitergereist nach Brüssel.«
    »Er war hier?« Meine Stimme versagte mir fast den Dienst. Sie klang brüchig und fremd.
    »Wie gesagt, nur für einige Stunden, Mademoiselle. Aber die genügten, um zu sehen, wie es um ihn steht.«
    »Wenn es ihn so sehr belastet, wie Sie sagen, warum hat er sich dann nicht bei mir gemeldet?« fragte ich und kämpfte mit den Tränen.
    »Hat er nicht? Nun, ich glaube, er hatte es vor. Ich wusste nicht, dass er sich letztlich doch dagegen entschieden hat.«
    »Ich weiß nicht. Ich war am Wochenende gar nicht zu Hause«, sagte ich mit tonloser Stimme.
    Ich wollte meinen Kaffeelöffel auf dem Rand der Untertasse ablegen, aber meine Finger zitterten so sehr, dass er schallend zu Boden fiel.
    Jacques Lezard bückte sich und hob ihn für mich auf.
    »Danke.« Ich atmete tief durch.
    »Woran machen Sie fest, dass es ihm so schlecht geht?«
    »Wir sind seit vielen Jahren miteinander bekannt, Mademoiselle, fast befreundet, möchte ich sagen. Und ich habe ihn bisher nur ein einziges Mal so erlebt. Damals stand er kurz davor, die Reed Group vollständig zu übernehmen und das alte Management komplett auszutauschen, wie sich später herausstellte. Eine immense Verantwortung für einen jungen Mann von etwa 27 Jahren, will ich meinen. Aber diesmal war es noch schlimmer.«
    »Ich gebe zu, es erstaunt mich und es berührt mich sehr das zu hören, Monsieur Lezard. Ich habe allerdings den Eindruck, Sie geben mir die Schuld an Ians Zustand. Aber mir ein schlechtes Gewissen zu machen, bei allem Respekt, das steht Ihnen nicht zu.«
    »Das war auch nicht meine Absicht, Mademoiselle Lauenstein. Ich weiß, er ist ein schwieriger Mensch.«
    »Ja, das stimmt wohl in vielerlei Hinsicht.«
    »Ich habe Ian im Laufe der Jahre im Grand Reed in Begleitung einiger Frauen gesehen, Mademoiselle. Aber keine einzige war, wie soll ich sagen, bedeutsam für ihn. Ich war überrascht, erstaunt, fast muss ich sagen beunruhigt, als er Sie mir an jenem Abend vorstellte. Aber ich wusste sofort, dass es mit Ihnen absolut anders sein würde.«
    »Warum erzählen Sie mir das alles, Monsieur Lezard?«
    »Weil ich ein sehr romantisch veranlagter Franzose bin. Und weil ich Ian Reed als Chef und als Freund gleichermaßen schätze.«
    »Beides ehrt Sie in meinen Augen, Monsieur Lezard. Aber so einfach wie Sie vielleicht glauben, ist es leider nicht. Außerdem haben Sie meine Frage nicht beantwortet: Was genau an Ians Verhalten hat Sie so sehr beunruhigt, dass Sie dieses Gespräch mit mir gesucht haben?«
    Der Sternekoch mir gegenüber nahm einen großen Schluck Kaffee.
    »Als Ian am Samstagvormittag in Frankfurt landete, hatte er seit Tagen nicht geschlafen. Die Nacht auf Samstag hatte er auf einer Party in Monaco verbracht und – .«
    »Auf einer Party in Monaco?« unterbrach ich Jacques Lezard mit skeptisch gehobenen Augenbrauen, um sicherzugehen, dass ich richtig gehört hatte.
    Er nickte ernst.
    »Ich fasse es nicht. Das klingt ja wirklich beunruhigend und höchst bemitleidenswert.« Meine Stimme bebte vor Empörung und bitterem Sarkasmus.
    »Ich fürchte, Sie missverstehen mich, Mademoiselle. Fünfzehn Jahre lang hatte er jeglichen Jetset-Partys, den durchzechten Nächten und vor allem dem weißen Gold abgeschworen. Und jetzt schläft er nicht, isst fast nichts, kippt stattdessen literweise Espresso in sich
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