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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis
Autoren: Cay Rademacher
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Christenheit.
    So wurden wir denn in Spanien
     mit offenen Armen empfangen, da jedermann, der ein verlassenes Haus
     bewohnen wollte und einem Gewerbe nachging, zu jener Zeit willkommen war.
     Ich hatte auf unserem Weg längst meine Kutte abgelegt und gegen die
     Kleidung eines Händlers getauscht, die ich in einem Haus gefunden
     hatte. Haare waren mir über meine Tonsur gewachsen und erst von
     diesem Zeitpunkt an nannte ich mich Ranulf Higden. Meinen vorigen Namen
     verschweige ich, aus Furcht vor der Inquisition — denn auch diese
     hat die Pest überlebt.   
    Nach Spanien gelangten Lea
     und ich als Mann und Frau, obwohl wir nie geheiratet hatten. Doch wer
     fragte in jener düsteren Zeit schon nach Dokumenten und Zeugen?
    Unseren Nachbarn in Palos
     galten wir immer als gute Christen, doch vielleicht wunderte sich auch der
     eine oder andere im Stillen, woher ich denn die Bibel und die Schriften
     der Kirchenväter so gründlich kennen mochte.
    Lea hatte ich in den
     finsteren Tagen der Pest lieben gelernt — und ich liebe sie immer
     noch. Sie ist die Mutter meiner Kinder und die Sonne meines Lebens.
     Niemals habe ich versucht, sie zu bekehren. So entzündet sie -
     heimlich, auf dass es kein Nachbar sehe und der Inquisition melde - am
     Abend des Sabbat die Kerze und ich bin still dabei und sehe ihr zu.                  
    Warum sollte ich auch meine
     Stimme im Protest erheben? Ich weiß doch seit jenem Sommer der Pest
     nicht mehr, was ich glauben soll und was nicht.
    Beati mundo corde quoniam
     ipsi DEUM videbunt. Ich
     bin, was dich, Leser dieser Zeilen, nun nicht mehr überraschen wird,
     ein Geograf geworden. Ich zeichne mit sicherer Hand Karten. Sie werden
     geschätzt von Kaufleuten aus Genua und Venedig, aus Brügge und
     London. Wohlhabend bin ich darüber geworden und in manchen Kreisen
     sogar berühmt. Manchmal segeln inzwischen auch Kapitäne der
     Hansestädte bis zu meiner Stadt und bestellen Karten bei mir.
    Selbst ein Schiffsführer
     aus Lübeck war letztes Jahr hier. Als ich ihn unauffällig nach
     der Familie des Reeders Richard Helmstede befragte, da erklärte er
     mir, von ihr gehört zu haben. Alle seien jedoch entweder an der Pest
     gestorben — oder auf hoher See geblieben, denn die Kogge, mit der
     der Besitzer einst ausgelaufen war, sei nie zurückgekehrt. Er könne
     sich allerdings nicht mehr des Namens dieses Schiffes entsinnen.
    Ich kenne ihn, doch verriet
     ich mich nicht.
    *
    Manchmal, wenn ich große,
     komplizierte Karten anzufertigen habe, dann zeichne ich in diesen ein Land
     ein, irgendwo im Atlantischen Ozean. Eine Insel ist es, weder groß
     noch klein. Ich zeichne ein paar Berge ein, einige Flüsse und einen
     See — ich hoffe, dass es ein schöner Ort ist. In dünner
     Schrift schreibe ich dann den Namen dazu: terra perioeci.
    Noch nie hat mich jemand
     darauf angesprochen. Welcher Kapitän segelt schon auf den
     Atlantischen Ozean hinaus? Außerdem bevölkern so viele
     Fabelwesen und legendenhafte Inseln und Kontinente meine Karten, dass ein
     Eiland mehr oder weniger dort niemandem auffällt.
    Doch mittlerweile bin ich alt
     und schwach geworden. Meine Augen sind mir keine getreuen Diener mehr,
     meine Hand zittert. Schon sehr bald werde ich keine Karten mehr erschaffen
     können — nur diesen Bericht hier, den du, Leser, in Händen
     hältst, den habe ich noch vollendet.
    Vielleicht wird dermaleinst
     ein Kapitän jenes Land auf einer meiner Karten finden und sich
     fragen: Wo liegt die terra perioecp. Diese
     Hoffnung habe ich - und diese Furcht.
    Gegeben am Tag des heiligen
     Dominicus, anno DOMINI 1388. Von Ranulf Higden,
     Kartograf, der dies geschrieben hat mit eigener Hand.

 

    ÜBERSETZUNG
    Anno DOMINI.
    Im Jahre des Herrn. 
    *
    Et dimitte nobis debita
     nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris.
    Und vergib uns unsere Schuld,
     wie auch wir vergeben unseren Schuldigem. (Mt. 6,12)
    *
    Deinde ego te absolvo.
    So spreche ich dich von
     deinen Sünden frei.
    *
    Quoniam enim per hominem
     mors et per hominem resurrectio mortuorum.
    Ein einziger Mensch hat der
     ganzen Menschheit den Tod gebracht; und so bringt auch ein einziger die
     Auferstehung vom Tod. (1. Kor. 15,21) 
    *
    Quis borum trium videtur
     tibi proximus fuisse illi qui incidit in latrones. At ille dixit qui fecit
     misericordiam in illum et ait illi Iesus vade et tu fac similiter.
    »Wer hat deiner Meinung
     nach von den Dreien als Mitmensch an dem
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