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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis
Autoren: Cay Rademacher
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liegenden
     Schiffe im Hafen lichterloh brannten. War dort ein Blitz eingeschlagen?
     Waren die Flammen des Scheiterhaufens übergesprungen, getragen von
     einer Windböe? Was tat das nun noch zur Sache? Auf der Seine
     jedenfalls stand eine riesige Wand aus Flammen und Rauch, da Schiffe, Kähne,
     Kais und abgestellte Fässer und Ballen loderten. Die nackten Tänzer
     hatten sich am Ufer versammelt und schrieen und sangen, die Vaganten
     spielten fröhliche Weisen dazu. Niemand versuchte, den Brand zu löschen.
    Umringt von Feuer lag die
     »Kreuz der Trave« im Wasser. Ich sah Gestalten dort an Deck.
     Eine, so schien mir, hatte langes blondes Haar, halb verborgen unter einer
     dunklen Kappe. Dieser Mensch allein rührte sich nicht, sondern stand
     am Mast wie eine Statue. Die anderen an Bord rannten hierhin und dorthin
     wie Ameisen, denen ein Riese den Bau zertreten hat. Die Leinen waren gelöst
     worden. Das Segel hing halb aufgezogen und schief am Mast, doch hatte der
     Wind trotzdem das Tuch gebläht und trieb die Kogge langsam voran.
     »Haltet ein!«, schrie ich. »In GOTTES Namen, haltet ein!«
     Doch wie laut ich auch rief, meine Stimme verklang im rollenden Donner, im
     Krachen des brennenden Holzes, in den Hohngesängen und lauten Weisen
     der irre gewordenen Tänzer und Musiker. So glitt die »Kreuz der
     Trave« — halb segelnd, halb in der Strömung treibend
     — in eine riesige Flammenwand hinein, die fast den ganzen Fluss
     versperrte, bis der Segler meinen Blicken entschwand. Lea und ich blieben
     auf dem Grand Pont stehen und sahen dem Geisterschiff nach, bis wir vor
     Rauch und Flammen zurückweichen mussten.
    Nie werde ich wissen, ob die
     Kogge den Schatz der Templer an Bord trug oder nicht. Nie werde ich
     wissen, ob sie all die gestohlenen Werke der Geografie an Bord trug oder
     nicht. Nie werde ich wissen, ob Klara Helmstede wirklich an Bord war oder
     ich nur einer Einbildung aufgesessen war. Ja, ich weiß bis heute
     nicht einmal, ob die »Kreuz der Trave« in jener Flammenwand
     wahrhaftig verbrannt ist — oder ob sie nicht doch heil
     hindurchgesegelt ist.
    Ich bete seither jeden Tag,
     dass die Kogge das Gold der Templer, das Wissen der Alten und meine
     ehemalige Geliebte in Sicherheit gebracht hat. Hin zu jenem
     geheimnisvollen Ort jenseits des Ozeans, von dem nun allein Lea und ich im
     Abendland noch wissen, dass er einst terra perioeci genannt worden ist.

 
    18
    DER KARTOGRAF AM ENDE DER
     WELT
    Noch am selbigen Tage flohen
     Lea und ich aus der Stadt Paris, die uns das neue Babylon zu sein dünkte.
     Alle Mönche im Kloster Saint-Jacques waren, so weit ich weiß,
     der Seuche erlegen. So gab es dort niemanden mehr, der die Totenbücher
     führen konnte - und deshalb galt auch ich als verschieden.
    Leas Vater war tot. Sie hatte
     in Frankreich keine näheren Verwandten mehr, niemand hatte sie mehr
     erblickt, seit die Inquisitoren und Sergeanten ihr Haus geplündert
     hatten. Auch sie galt aller Welt deshalb als Opfer der Seuche.
    So gab es keinen Menschen auf
     dem Erdenrund, der sich an uns erinnerte, und keiner vermisste uns.
    GOTT in seinem unermesslichen
     Ratschluss gefiel es jedoch, uns das Leben zu schenken. Wir, die wir Sünder
     waren, erkrankten all die schrecklichen Tage lang nicht, obwohl doch Bischöfe
     und Herzöge vor dem Schwarzen Tod fielen.
    Wir wählten kleine Wege,
     abseits der großen Straßen, vorbei an der verfallenen Abtei
     Saint-Germain-des-Pres. Auf den Feldern stand das Getreide hüfthoch
     und manchmal sahen wir einen Bauern, der, mit der Sense in der Hand, bei
     der Feldarbeit gestorben war. Tag und Nacht heulten Wölfe gar
     schauderhaft. Doch auch vor ihnen schützte ER uns. Waren wir hungrig,
     so fanden wir stets ein verlassenes Haus, in dem wir Brot, Bohnen oder
     Zwiebeln entdeckten. Waren wir durstig, so gelangten wir stets an einen
     Brunnen oder Fluss, der uns klares Wasser bot.
    Spiritus ubi vult spirat
     et vocem eius audis sed non scis unde veniat et quo vadat sie est omnis
     qui natus est ex Spiritu.
    Schließlich gelangten
     wir nach vielen Wochen des Reisens bis ins Land Spanien und dort bis zur Küste
     des Atlantischen Ozeans, zur Hafenstadt Palos.
    Irgendwann entließ die
     Pest die Christenheit aus ihrem Würgegriff. So war dies denn doch
     nicht das Ende der Welt, das wir alle heraufdämmern zu sehen
     glaubten. Doch wohl jeder zweite Mensch war dahingegangen und es herrschte
     eine schreckliche Leere in den Städten der
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