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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Autoren: John Burnside
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Zuhauses, zerfließt und lässt ihn in einer Welt zurück, die zu seltsam ist, um sie bezeugen zu können. Die Welt der Huldra – die reale Welt –, die Hof und Dorfschule so angestrengt zu verbergen suchen.
    Ich habe mit Mutter nie darüber geredet – vielmehr habe ich ihr nie erzählt, was ich versuche –, aber selbst wenn sie nicht weiß, was ich schaffen will, scheint sie sich doch für mich zu freuen. Ich bin nun ihresgleichen, weniger in ihren Augen als in dem, was sie für meine eigene Einschätzung hält, und das bedeutet einen großen Unterschied in der Art und Weise unseres Zusammenlebens. Wir sind uns nun gleich, nicht, weil ich jetzt weiß, was ich mit meinem Leben anfangen will, sondern weil mir ein ungeheures Privileg eingeräumt wurde. Mir wurde gestattet, etwas zu sehen, das nie geschehen sein konnte, und dieses Ereignis bleibt mir wie ein unsichtbarer Gefährte oder eine Narbe. Wir sind uns nun auf eine Weise gleich, auf die es nicht im Mindesten ankommt, denn ich habe das Gewebe der Welt durchschaut, auf das sich alle geeinigt haben. Weshalb ich mich verpflichtet sah, noch einmal mit Messungen und Bleistiftnotizen von vorn zu beginnen, mit Farbflächen auf dem feinsten Papier, das für Geld zu haben ist – und diese einfache, fesselnde Aufgabe gestattet Mutter ein für alle Mal, sich nicht mehr um mich sorgen zu müssen. Früher wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, aber heute verstehe ich, dass sie sich große Sorgen um mich gemacht hat, als sie nicht wusste, was ich mit meinem Leben anfangen werde – nicht, weil es für sie wichtig gewesen wäre, sondern weil sie wusste, wie wichtig es mir war. Nun spürt sie, dass sie loslassen kann – vielleicht spüren wir das beide –, denn sie wusste schon immer, dass ich etwas brauchte, um nicht allein ihre Tochter zu sein.
    Ich will hier allerdings keinen großspurigen Anspruch auf Glück und Erfüllung erheben. Ich will nicht einmal behaupten, ich hätte ein glückliches Leben, zumindest nicht so, wie man es landläufig versteht. Eigentlich gibt es für mich außerhalb meiner Arbeit kein Leben. Ich brauche nicht, was andere Menschen zu brauchen scheinen, und mir hat nie gefehlt, was ich nie haben wollte; nur einmal in der Woche gehe ich den Weg durch den Birkenwald bis dahin, wo Kyrre und Maia verschwunden sind, dann folge ich der Brensholmener Straße zu der Stelle, an der Kyrres Weg zum Strand abbiegt. Als Kyrre noch in seinem Haus wohnte, war es nie verschlossen – er habe nichts, was sich zu stehlen lohne, hat er stets behauptet, was streng genommen nicht ganz stimmte –, und ich lasse es so, wie er es hinterließ. Falls er je zurückkommt, wird es sein, wie es immer war: die Küche mit all dem Krempel, die alten Töpfe und Pfannen, das Gästezimmer voller Maschinenteile und alten Uhren, der breite, vom Flur abgehende Alkoven, in dem wie in einer geheimen Trollkinderbücherei nur Regale sind. Einmal in der Woche gehe ich hin und mache sauber, aber ich räume nicht auf und verrücke nur, was verrückt werden muss, wenn ich Staub wische oder mit dem Staubsauger hantiere, und hinterher stelle ich alles wieder so hin, wie es war.
    Gewöhnlich gehe ich am Mittwoch gleich nach dem Frühstück. Ich gehe ins Haus und brüh mir einen Kaffee auf – stark, so wie er ihn mochte –, dann mache ich ein bisschen sauber und sehe nach, ob alles in Ordnung ist. Ich arbeite ein, zwei Stunden – viel ist nicht zu tun, und ich halte mich ran. Manchmal sind kleinere Reparaturen zu erledigen, und gelegentlich, wenn ich in sentimentaler Stimmung bin, hole ich Kyrres alte Bücher und Alben vor, blättere sie durch und versuche zu erraten, wer auf den Fotos und Zeitungsausschnitten wer ist, vielmehr wer wer sein könnte. Meist zeigen sie Vorfälle aus der Region oder Familientreffen, aber manchmal berichten die Zeitungen auch von alten Geschichten, von Geheimnisvollem, das die Menschen hier vor dreißig oder fünfzig Jahre eine Weile rätseln ließ, ehe sie es gegen Ende des Sommers dann wieder vergaßen. Eine Weile sitze ich so da, schaue mir die Fotos an und versuche zu erraten, welcher der jungen Männer Kyrre sein könnte und wer unter den Umstehenden wohl ein Verwandter war, wer vielleicht seine Geliebte. Heute bedaure ich, dass ich ihm nicht mehr Fragen nach den Bildern gestellt habe. Wer war wer, wann und wo wurden sie aufgenommen, zu welcher Gelegenheit? Ich schätze, ich habe Kyrre einfach für selbstverständlich gehalten, doch wenn ich zurückdenke,
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