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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Autoren: John Burnside
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ich dort niemanden sah, auch keinen unmittelbaren Beweis für Gewalt oder Leid fand, wusste ich, dass es sich um den Ort des Geschehens handelte. Nicht um den Ort, an dem sich Kyrre und Maia befanden, an dem sie aber hätten sein sollen. Wo sie gewesen waren, eben noch, als dieser Schrei die Luft durchschnitt. Es gab nichts, was mich an diesem Ort hielt, zumindest nichts, was sich auf den ersten Blick erkennen ließe, als ich über den Weg darauf zulief, doch wusste ich genau, dass sie nicht weitergegangen waren. Dies war der Ort, an dem sie, aus welchem Grund auch immer, stehen geblieben waren, und hier war es auch, wo sie verschwunden sein mussten.
    Nur gab es hier nichts, zumindest konnte ich nichts entdecken. Doch wenn sie hier gehalten hatten, wenn sie nicht weitergegangen waren, dann, so wollte es die Vernunft, mussten sie noch hier sein, und wenn sie es nicht mehr waren, mussten sie verschwunden sein. Sie konnten sich unmöglich in Luft aufgelöst haben – was mich verwirrte, denn das war nun wirklich unmöglich.
    Das verwirrte mich, das und der Geruch. Erst fiel er mir nicht auf, aber dann roch ich ihn überall, stark, dunkel, überwältigend fast und nur für einen Augenblick so intensiv, dass mir schwindlig wurde und ich mich vornüberbeugen musste, Hände auf den Knien, Kopf gesenkt, nicht gerade nach Atem ringend, aber plötzlich benommen von diesem dunklen Wasser-und-Rauch-Gemenge, fast wie der Geruch, der, wenn man ein offenes Feuer löscht, vom nassen, an einigen Stellen noch qualmenden Holz aufsteigt, ein kalter, düsterer Geruch, der mich – ich weiß nicht, wie ich es nennen soll – nicht gerade traurig machte, aber doch enttäuscht fühlen ließ. Enttäuscht in einem extremen, physischen Maß. Oder entsetzt – ja, das ist vermutlich das richtige Wort. Entsetzt bis tief in die Magengrube, bis aufs Knochenmark. Entsetzen in der Kehle, in Mund und Nase, Entsetzen, das ewig zu dauern schien, das bereits da gewesen war, auf dem Weg gewartet hatte, den ich schon hunderte Male gegangen war, hin zu Kyrres Haus, um in seiner Küche zu sitzen und starken Kaffee zu trinken, während er mir gegenüberhockte, an irgendeinem Außenbordmotor arbeitete und Geschichten aus alter Zeit erzählte , und ich glaube – obwohl es keinen Beweis dafür gab, dass etwas Schreckliches geschehen war, von diesem schwarzen, rauchigen Geruch einmal abgesehen, der zwischen den Birken hing –, ich glaube, in diesem Moment habe ich zum ersten Mal gewusst, dass er fort war. Wenn ich zurückdenke, begreife ich, dass ich es von Anfang an gewusst habe. Ich wusste es, noch ehe ich diesen Geruch wahrnahm und die Flecken sah.
    Anfangs habe ich sie nicht bemerkt. Ich nahm sie erst wahr, als ich mich vornüberbeugte, mit geschlossenen Augen, und versuchte, wieder zu Atem zu kommen, um dann, als ich mich kräftig genug fühlte, die Augen erneut aufzuschlagen. Da habe ich die ersten, fetten, schwarzen Flecken im Gras vor meinen Füßen entdeckt. Als ich den Kopf hob und wieder normal zu atmen begann, sah ich sie dann überall: im Gras, auf dem Sand, auf den Blättern an den Bäumen – schwarze, tintige Flecken, die wie Ruß oder Staub aussahen, nur als ich die Hand ausstreckte und mit der Fingerspitze über ein gelb gewordenes Birkenblatt strich, fühlte sich der Fleck ölig an. Ölig wie etwas Lebendiges. Wie Überreste, die man im Wald findet, nachdem nachts etwas, ein Tier, dort gewesen ist und seine Beute verschlungen oder nur halb aufgefressen hat. Ich zog die Hand zurück und schaute mich um. Die Flecken waren überall, dick, schwarz, umweht vom dunklen, rauchigen Geruch, der mich an dieser Wegbiegung halten ließ, auf halber Strecke zwischen unserem Haus und dem von Kyrre.
    Einen Moment lang stand ich da, starrte in die Gegend; wieder drang mir der Geruch zu Kopf, doch dann eilte ich weiter, weil ich wusste, dass es sinnlos war, weil ich wusste, dass ich nachsehen musste, denn nichts von alldem hier lieferte eine Erklärung für das Vorgefallene. Nichts ergab einen Sinn. Ich wusste, Kyrre und Maia hatten genau an dieser Stelle haltgemacht, wusste, dass der Geruch und die schwarzen Flecken etwas mit dem zu tun hatten, was dann geschehen war, aber ich wusste ebenso, wie lächerlich sich das anhörte. Wie ein verirrter Hund rannte ich mehrere Meter weiter, rannte, ging, rannte wieder, den Kopf vorgereckt, um zu erspähen, was ich vielleicht noch gerade eben sah, ehe es entschlüpfte, und mit einem Mal war mir, als wäre all dies nur
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