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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht
Autoren: Nancy Kress
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Schüssel«, jammert die
Frau. »Und das war vor zwei Tagen!«
    »Jawohl, Madam. Bitte setzen Sie den Helm auf.«
    »Ich war einkaufen! Ich war nicht einmal zu Hause, als
der Zug entgleiste!«
    »Jawohl, Madam. Den Helm, Madam.«
    »Ich… ich kann nicht!«
    »Dann ziehen Sie bitte den Schutzanzug aus, Madam, damit wer
anderer ihn bekommt und sein Tier retten kann.« Ich ziehe mir
das aus dem Finger, so wie’s eben nötig wird. Gefällt
mir großartig.
    »Ich… das kann ich auch nicht! Was wird dann aus
Mimi?« Mit einem wilden Blick sieht sie sich um, als würde
sie Ausschau halten nach jemand anderem, der Mimi retten könnte.
Aber offenbar ist da keiner, denn plötzlich packt sie den Helm
fester und rammt ihn sich über den Schädel. Ich greife hin
und mache ihn ihr dicht. Hinter dem Visier weint sie.
    Ich hoffe, daß ich mich nie dermaßen vor dem Leben
fürchten werde.
    Ich zeige auf die reguläre Armee, und sie trottet wortlos in
dieser Richtung davon. Joe und ich ziehen noch zwei Anzüge vom
Lkw, und der Sergeant schickt uns die nächsten beiden Zivis.
Diesmal schleppen sich zwei wirklich knittrige Knacker heran, haben
kaum die Kraft, in die beschissenen Anzüge zu steigen.
Überall auf dem Parkplatz vor der Kirche sind die ZD-Teams damit
beschäftigt, Zivis in die Anzüge zu stecken. Ich sehe mir
die ganze Prozedur genau an, damit ich weiß, wie alles
abläuft, und auch wirklich reingeschickt werde. Der Sergeant hat
es versprochen, und ich werde sie darauf festnageln.
    Über dem Parkplatz schwebt ein riesiges Holo mit dem
üblichen staatlichen Schwachsinn: gemeinsame verantwortung:
zusammenhalt ist alles! Drumherum schimmernde Holo-Menschen jeden
Alters, die einander an den Händen halten und grinsen wie die
Idioten. Doch plötzlich wehen dichte Wolken aus schwarzem Rauch
in unsere Richtung und verdecken das Holo. Ich setze den Helm nur
auf, wenn es unbedingt notwendig ist – ich sauge lieber alles
undigitalisiert in mich rein –, aber eine Sekunde lang kann ich
überhaupt nichts sehen: keine Holos, keine Lkws, keine Zivis und
auch nicht das tolle Fenster aus buntem Glas an der Vorderfront der
Kirche, mit den blauen und roten Figuren von Heiligen aus aschgrauer
Vergangenheit. Der Gestank ist grauenhaft – eine Mischung aus
verbrannten Reifen und verfaultem Abfall. Dann ändert sich die
Windrichtung, und der Rauch bläst woanders hin.
     
    Es wird Nachmittag, ehe ich endlich rein kann. Sie lassen erst mal
stundenlang die reguläre Armee ran und einen Laster nach dem
anderen voller Zivis abfertigen, vermutlich um ganz sicherzugehen,
daß für uns kostbare kleine Zivildienstler wirklich keine
Gefahr besteht. Wir jungen Leute müssen ein Jahr Zivildienst
tun, um die selbstlose Opferbereitschaft für das Wohl der
Gruppe, blablabla, zu lernen. Aber niemand will, daß wir uns
dabei umbringen. Und so lassen sie uns erst zu Mittag, als noch
keiner in die Luft geflogen ist und die acht Soldaten
turnusmäßig Pause machen, auch mal an die Sache heran. Und
ich bin gleich bei der ersten Gruppe dabei.
    Mein Partner ist ein Soldat zwischen vierzig und fünfzig, ein
Karrieresoldat, der sein Geschäft versteht – so sieht er
zumindest hinter seinem Visier aus. Wir springen auf die
Ladefläche eines Lkws mit achtzehn verschreckten Zivis in
Schutzanzügen, die alle an ihre Hunde, Katzen und Wellensittiche
denken. Der Lkw setzt sich auf den brennenden Zug zu in Bewegung.
    Der Soldat gibt mir Weisungen. »Keiner geht näher als
zweihundertfünfzig Meter heran. Keiner! Die Leute hier
schwören, daß sie alle weiter weg wohnen, aber das
muß nicht stimmen. Jedenfalls begleiten Sie Ihren
Schützling ins Haus und wieder raus. Die Leute haben vier
Minuten – Sie stoppen die Zeit. Sie sollen ihre Haustiere nehmen
und rauskommen. Nichts sonst, es geht nur um die Tiere. Wenn sie in
den vier Minuten ihr Tier nicht finden, müssen sie trotzdem
raus. Wenn es nicht anders geht, wenden Sie Gewalt an. Hat man euch
jungem Gemüse auch beigebracht, wie man die
Betäubungspistole benutzt?«
    »Jawohl, Sir«, sage ich und ignoriere die
Beleidigung.
    »Es geht nur um die Tiere!« wiederholt er. »Kein
Geld, keine Bilder, keine Terminals, keine Möbel, kein Schmuck.
Und sehen Sie bloß zu, daß Sie keinen Kratzer
abbekommen!«
    »Jawohl, Sir!« Dafür kriegt er ein strahlendes
Lächeln von mir. Er starrt mich eine Weile an, dann wendet er
sich mit herabgezogenen Mundwinkeln ab. Ist mir auch egal. Ich freue
mich viel zu sehr.
    Der Rauch wird
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