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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht
Autoren: Nancy Kress
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Gesicht sich dagegenpreßt. Ich bin ziemlich
sicher, daß ich sterben muß. Wenn alle Waggons in die
Luft fliegen, ist die Wahrscheinlichkeit dafür sehr hoch.
    Aber sie fliegen nicht in die Luft, und ich sterbe nicht.
    Nach allem, was ich höre, explodiert nur ein Waggon, und aus
dieser Richtung bin ich vorhin gekommen. Ich erinnere mich nicht,
durch den Leuchtmarker und damit aus der Explosionszone gerannt zu
sein, jedenfalls habe ich keinen Marker gespürt. Aber ich
spüre ein paar weitere Minuten lang überhaupt nichts –
mit Ausnahme der Tatsache, daß ich, verdammt noch mal, am
Leben bin! Dann krieche ich aus dem Grill und stehe auf.
Wackelig.
    Mein Helm hat sich mittlerweile wegen der besseren
Bildauflösung auf virtuelle Sicht umgestellt. Um mich herum
sieht es aus wie in einem Kriegsfilm, irgendwas über die
Kämpfe in Südamerika. Brennende Häuser,
eingestürzte Häuser. Das graue Gebäude dort
drüben existiert nicht mehr. Nur Schutt und Rauch und ein
Getöse, das sich für mich anhört, als fände es
weit entfernt statt und nicht praktisch über mir.
    Ich stolpere zwischen den Brandherden hindurch und zurück zum
Sammelplatz. Irgendwo muß ich wohl die falsche Richtung
eingeschlagen haben, denn ich komme zwischen zwei Häusern an
seiner Ostseite zum Parkplatz der Kirche.
    Nicht einmal der Parkplatz sieht mehr real aus.
    Überall alte Leute, manche davon immer noch in den
Schutzanzügen, aber ohne Helme, und andere haben die Anzüge
schon abgelegt, aber alle sind sie so rußverschmiert, daß
man nicht feststellen kann, ob es sich um Weiße, Schwarze oder
Violette handelt. Und Haustiere. Eine tote Katze liegt auf dem
Gehsteig und darübergebeugt weint eine Frau, der die Tränen
über die Falten in ihrem Gesicht strömen. Daneben ein
lebender Welpe mit einer zerquetschten Pfote, der wedelt, als
gäb’s was zu feiern, während der nächste
mürbe Mummel dazu flennt. Ein großer Neufundländer
rast im Kreis und bellt und bellt, und die Katzen fauchen die
Tierärzte an, die sich mit ihren Scannern über die Hunde
beugen. Ein alter Knacker steht da mit einer Hundeschüssel in
der Hand und starrt sie an. Steht reglos da und starrt sie bloß
an. Die reguläre Armee bemüht sich, die Zivis zurück
auf die Lkws zu laden. »Es ist zu gefährlich hier, Sir,
bitte steigen Sie sofort auf den Lkw. Lassen Sie das tote Tier hier,
Sir, bitte…«
    Keiner hört zu. Aufnahmeteams manövrieren ihre
Robokameras hierhin und dahin, die Menschen jammern und schreien
durcheinander. Und direkt vor mir, auf meiner Seite des Parkplatzes,
bohrt ein riesiger Papagei böse aussehende Krallen in die
Schulter eines grinsenden Mannes, der nicht einmal zusammenzuckt,
während der Vogel immerzu kräht: »Zugriff
gewährt! Na also! Zugriff gewährt! Na also! Zugriff
gewährt…!« Und in der Ferne aus der Luft das Geheul
näherkommender Feuerwehren.
    Der Sergeant erblickt mich; während sie den Parkplatz im
Laufschritt durchmißt, erblickt sie mich zwischen den beiden
Häusern und bleibt stehen wie angewurzelt. Ihr Gesichtsausdruck
verwandelt sich grundlegend, und ich weiß, was ich vor mir
sehe: Erleichterung. Sie dachte, ich wäre tot, und daß nun
ausgerechnet sie es wäre, der einer dieser kostbaren
Zivildienstler abhanden gekommen war, und daß sie dafür
würde bezahlen müssen – sehr teuer und sehr lang. Aber
jetzt bin ich da und lebendig. Was soll’s, daß ich keinen
Zivi mehr bei mir habe – der Zivi ist nicht neunzehn und ein
nationales Kleinod.
    »Walders!« bellt sie mich an, und da weiß ich
erst, wie furchtbar aufgeregt sie tatsächlich ist.
Üblicherweise nennen sie uns beim Vornamen. »Erstatten Sie
Meldung!«
    Und das tue ich. Auf Knien, die aus Wasser bestehen, wanke ich auf
sie zu – und nicht bloß weil ich gerade fast gestorben
wäre. Auch nicht, weil ich meinen Zivi verloren habe, und auch
nicht, weil ich den ersten Risikoeinsatz, an den ich je rankam,
verhaut habe. Meine Knie zittern, weil ich Meldung erstatten
muß – einen exakten Bericht, auch über das, was
dieser Zivi in den Armen trug, als er davonrannte. Und ich weiß
nicht, ich kann es mir nicht im entferntesten vorstellen, was dann
mit mir geschehen wird.

2
    NICK CLEMENTI
     
    Es ist wieder der gleiche Traum. Ich sitze neben meiner Mutter am
Ententeich und füttere die Enten mit unserem Mittagessen.
»Schau, Nicky, die Kleinen schwimmen immer ihrer Mami nach!
Wären wir Enten, würdest du immer hinter mir und Jennifer
und Allen schwimmen.«
    »Ich will
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