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In Gottes Namen

Titel: In Gottes Namen
Autoren: David Ellis
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Natalia bewegungslos auf ihrem Stuhl sitzt. Vielleicht wird sie angeklagt, je nachdem wie viel Druck die Medien auf die Strafverfolger machen. Womöglich werde ich dabei sogar als Zeuge aufgerufen, weil ich von ihr, von Koslenko und von anderen eine Menge erfahren habe. Das wäre natürlich Hörensagen, aber man könnte eine Ausnahmeregelung beantragen und es gewissermaßen als Aussage eines Mitverschwörers gelten lassen, unter der Voraussetzung der Offenlegung sämtlicher …
    Ich reiße mich zusammen. Ich kann es einfach nicht lassen, alles unter dem rechtlichen Aspekt zu betrachten. McDermotts Reaktion hat ins Schwarze getroffen. Es liegt mir einfach im Blut, das Gesetz. Es ist das Einzige, worin ich wirklich gut bin. Die einzige Arbeit, die mich wirklich interessiert.
    Ich verlasse das Revier, und diesmal sage ich nichts zu den Reportern.
    Nicht jetzt, jedenfalls. Und womöglich nie.

Mittwoch
    6. Juli 2005

54. Kapitel
    Shelly und ich verbringen eine Woche in der Präsidenten-Suite des Grand Hotel, lassen uns das Essen aufs Zimmer servieren, gehen am Strand spazieren, schauen uns die Sehenswürdigkeiten an und speisen köstlich und viel. Auch Zeit für intime Begegnungen ist vorgesehen, allerdings nehmen wir den Ausdruck miteinander schlafen eher wörtlich. Denn wir tun genau das. Verbringen zehn Stunden des Tages ausschließlich mit Schlafen.
    Shelly geht es besser. Man stürzt sich nicht einfach mir nichts dir nichts zurück ins Leben, wenn man in seiner Wohnung angegriffen und entführt wurde, selbst wenn die Erinnerungen daran verschwommen sind. Mehr als an alles andere muss sie sich zunächst an das Gefühl der Angst gewöhnen. Wir unternehmen Ausflüge in die Stadt und spazieren am Strand entlang, aber immer nur bei Tageslicht. Ohne dass wir es so vereinbart hätten, bringe ich sie jeden Abend vor Einbruch der Dunkelheit zurück auf das ausgedehnte Hotelgelände. Nicht etwa, weil man draußen nur noch wenig sehen kann. Es geht um das Gefühl der Sicherheit.
    Am vierten Tag erwache ich so gegen neun. Shelly kommt gerade in Handtücher gehüllt aus dem Bad. Als ich die Augen öffne, bemerke ich, dass sie mich beobachtet, und entdecke in ihren Augen eine angespannte Zurückhaltung. Ich sage »Guten Morgen«, und sie erwidert den Gruß, doch ihre Augen weichen meinen aus. Ein Klopfen an der Zimmertür, sie zuckt zusammen.
    »Ach, der Zimmerservice«, murmelt sie und kichert freudlos über sich selbst.
    Ich springe auf und werfe mir irgendwas über. Als sich der Kellner wieder zurückzieht, gebe ich ihm ein großzügiges Trinkgeld. Dann schiebe ich Obst und Knusperflocken in meinen Mund, kaue darauf herum und schlucke, aber ich schmecke nichts. Sie spielt mit einer Scheibe Toast, lacht höflich über meine Witze, bleibt dabei aber sehr reserviert. Für Shelly ist Reserviertheit so natürlich wie der tägliche Sonnenaufgang im Osten. Nur spüre ich es jetzt deutlicher als je zuvor, mehr noch als während unserer Trennung, weil mir da wenigstens die Hoffnung blieb, sie würde zu mir zurückkehren.
    Ich dusche und schlüpfe in ein kurzärmeliges Hemd und eine helle Baumwollhose. Ich begleite sie hinunter ins Spa, wo ich einen Wellness-Tag für sie gebucht habe. Massage, Gesichtspflege, das ganze Programm. Erst hat sie gemurrt, den Gedanken an eine Pediküre weit von sich gewiesen, bis ich ihr versichert habe, dass eine Fußmassage inbegriffen ist. Sie will nicht umsorgt werden, sie will sich einfach nur entspannen.
    Ich begleite sie bis zur Tür des Spa-Bereichs, eine ritterliche Geste, aber sie spürt, dass ich sie beschützen will und ihr nur deshalb überallhin folge.
    »Was fängst du mit deinem freien Morgen an?«, fragt sie.
    »Ich werd mir schon was einfallen lassen.«
    Sie nickt und wendet sich zur Tür. »Shelly.«
    Sie sieht lässig zu mir, doch dann bemerkt sie meinen Gesichtsausdruck. Da sich mein Schweigen quälend dehnt und mein Ringen um Worte offenbar wird, ahnt sie, was kommt, und rüstet sich innerlich.
    »Lass uns den Flug vorverlegen«, schlage ich vor. »Lass uns morgen fliegen.«
    Sie blickt mir in die Augen.
    »Du musst in dein Leben zurückkehren«, füge ich hinzu. »Und ich in meines.«
    Sie ringt eine Weile mit sich, aber mit jedem Moment des Nicht-Antwortens wird ihre Antwort klarer. Ich kenne Shelly Trotter besser, als sie sich selbst kennt. Und ich weiß um den Unterschied zwischen dem echten Verlangen, mit jemandem zusammen zu sein, und der bloßen Angst davor, allein zu sein.
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