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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen
Autoren: Jon Krakauer
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wissen, was in den Köpfen und Herzen eines jeden einzelnen Expeditionsteilnehmers vorging. Jetzt, wo
SIE
zu Hause sitzen, heil und unversehrt, urteilen Sie über die Urteilsfähigkeit der anderen und analysieren ihre Intentionen, Verhaltensweisen, persönlichen Eigenarten und Beweggründe. Sie geben Kommentare darüber ab, was von den Bergführern hätte getan werden
SOLLEN,
von den Sherpas, den Kunden, und arrogant gehen Sie hin und bezichtigen andere des Fehlverhaltens. Ausgerechnet Jon Krakauer, der, nachdem er das hereinbrechende Verhängnis spürte, in sein Zelt zurückgekrochen ist, um seine eigene Haut zu retten . . .
    Vielleicht überlegen Sie sich einmal, was Sie anrichten, indem Sie vorgeben,
ALLES zu WISSEN.
Sie haben sich bereits mit Ihrer
SPEKULATION
über Andy Harris' Schicksal geirrt und haben so seine Familie und seine Freunde in tiefste Trauer und Verzweiflung gestürzt. Und jetzt haben Sie Lopsangs Integrität mit Ihren »Klatschgeschichten« angezweifelt.
    Ich lese in Ihrem Artikel nichts weiter als
IHR EIGENES EGO,
das sich völlig kopflos abmüht, in den Geschehnissen einen Sinn zu erkennen. Sie werden Ihren Seelenfrieden, nach dem Sie so verzweifelt suchen, nicht finden, und wenn Sie noch soviel analysieren, kritisieren, beurteilen oder Hypothesen aufstellen. Es gibt keine Antworten. Niemand hat sich einer Verfehlung schuldig gemacht. Niemandem sind Vorwürfe zu machen. Alle haben damals unter den gegebenen Umständen ihr Bestes getan.
    Niemand wollte, daß dem anderen etwas zustößt. Niemand wollte sterben.
    Dieses letzte Schreiben war besonders bestürzend und verletzend, weil ich es zur selben Zeit erhielt, als ich erfahren mußte, daß die Liste der Opfer nun auch Lopsang Jangbu einschloß.
    Lopsang war im August, nachdem der Monsun sich aus dem Himalaja zurückgezogen hatte, an den Everest zurückgekehrt, um einen japanischen Kunden über den Südsattel und den Südostgrat zum Gipfel zu führen. Als sie am 25. September von Camp Drei auf Camp Vier stiegen, um ihren Gipfelangriff zu starten, wurden Lopsang, ein weiterer Sherpa und ein französischer Bergsteiger von einer Schlaglawine erwischt, die sie die Lhotse-Flanke hinunterspülte und in den Tod riß. Lopsang hinterließ eine junge Frau und ein zwei Monate altes Baby in Katmandu.
    Es trafen noch andere schlechte Nachrichten ein. Am 17. Mai, nachdem er vom Everest abgestiegen und sich zwei Tage im Basislager ausgeruht hatte, bestieg Anatoli Boukreev im Alleingang den Lhotse. »Ich bin müde«, sagte er mir, »aber ich gehe für Scott.« Boukreev hatte es sich zum Ziel gesetzt, sämtliche vierzehn Achttausender der Erde zu besteigen, und im September reiste er nach Tibet und erklomm sowohl den Cho Oyu und den 8046 Meter hohen Sisha Pangma. Aber Mitte November, während eines Aufenthalts in seiner Heimat Kasachstan, verunglückte er in einem Bus. Der Fahrer kam ums Leben, und Anatoli erlitt schwere Kopfverletzungen. Vor allem ein Auge erlitt dabei schwere, möglicherweise bleibende Schäden.
    Am 14. Oktober 1996 wurde im Rahmen des südafrikanischen Diskussionsforums über den Everest folgende Botschaft im Internet verbreitet:
Ich bin eine Sherpa-Waise. Mein Vater kam im Khumbu-Gletscherbruch ums Leben, als er Ende der Sechziger für eine Expedition Lastentransporte durchführte. Meine Mutter starb kurz unterhalb von Pheriche, als ihr Herz unter einer Last versagte, die sie 1970 für eine andere Expedition schleppte. Drei meiner Geschwister starben an verschiedenen Ursachen, meine Schwester und ich wurden zu Pflegeeltern in Europa und den Vereinigten Staaten geschickt.
    Ich bin in mein Heimatland nie zurückgekehrt, weil ich glaube, daß es verflucht ist. Meine Vorfahren zogen in die Khumbu-Region, um der Verfolgung in den Tiefebenen zu entfliehen. Dort, im Schatten des »Sagarmathaji«, »Göttin Mutter der Erde«, fanden sie heilige Zuflucht. Als Gegenleistung wurde von ihnen erwartet, die heilige Stätte dieser Göttin vor Fremden zu schützen.
    Aber mein Volk hat das Gegenteil getan. Sie zeigten Fremden den Weg zu dieser heiligen Stätte, und indem sie siegschreiend auf ihr standen, schlugen sie an jedem einzelnen Glied ihres Körpers Wunden, besudelten und beschmutzten ihren Busen. Ein paar mußten ihr Leben dafür lassen, andere kamen gerade noch davon oder brachten statt dessen das Leben anderer als Opfergabe dar...
    Ich glaube also, daß sogar die Sherpas mitschuldig an der Tragödie von 1996 auf »Sagarmatha« sind. Ich bedaure
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