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In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)

In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Caro Ramsay
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Gaumenspalte, und zwar eine stark ausgeprägte. Ich bin kein Experte, doch sein Schädel weist post mortem Spuren einer großen Operation auf, und zwar nachdem er bereits viele seiner zweiten Zähne bekommen hatte. Demnach muss er den größten Teil seiner Kindheit mit entstelltem Gesicht gelebt haben.«
    »Warum hat Tony ihn nach London gebracht?«
    »Ich könnte mir vorstellen, dass die kleine Schwester in Harrys Umgebung nicht sicher war. Das ist eine reine Vermutung, aber so gut wie jede andere Erklärung. Vielleicht ist etwas vorgefallen, und da hat Abbott begriffen, wozu sein Sohn heranwuchs. Die Entstellung, die Ankunft der kleinen Schwester, die Trennung, eine starke Hospitalisierung? Mrs. Costello war eine gewalttätige, unglückliche Frau und eine Trinkerin. Hat sie ihren Sohn abgelehnt so wie später auch ihre Tochter? Einer dieser Umstände oder vielleicht die Kombination aller hat Harry auf den Weg gebracht, der schließlich dort draußen auf dem Eis endete.«
    »Aber warum hat Tony sich nicht bei seiner Tochter bemerkbar gemacht? Hätte er sie nicht vor ihrem Bruder warnen können?«
    »Hätte er vielleicht. Möglicherweise hätte er ahnen können, was Harry vorhatte. Aber er hatte keine Beweise. Es ist schwer, sich gegen den eigenen Sohn zu stellen. Würdest du einen deiner Söhne der Polizei ausliefern? Trotzdem hat er ihr das Leben gerettet. Ohne zu zögern. In dem Augenblick, in dem DC Browne die Bemerkung fallen ließ, dass Costello auf dem Grundstück war, ist er aus dem Revier abgehauen. Seine kleine Prudenza war in Gefahr.«
    »Hat er sie so genannt? Das ist doch sicherlich nicht ihr richtiger Name?«
    O’Hare antwortete nicht.
    Iain erhob sich und nahm O’Hares leeres Glas.
    O’Hare schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich muss Costello noch nach Hause fahren«, erklärte er.
    »Jack, es sind nur zehn Minuten zu Fuß.«
    Die bernsteinfarbene Flüssigkeit vertrieb die Luft aus dem Glas und fing die Glut der Flammen vom Feuer auf.
    Iain gönnte sich selbst ebenfalls noch einen Malt und setzte sich wieder. »Sie ist ihrem Vater sehr ähnlich«, sagte er nachdenklich. »Zum Beispiel, was seine Freundlichkeit und seinen Sinn für Gerechtigkeit angeht.«
    »Graue Augen«, warf O’Hare lächelnd ein.
    »Bei unserer ersten Begegnung fand ich sie wenig beeindruckend«, räumte Iain ein. »Wie sehr man sich doch täuschen kann.«
    Im Torhaus war es warm und gemütlich. Iain Kennedy hatte die Heizung für sie angestellt, das jedenfalls hatte O’Hare gesagt, und sie sollte sich so lange umsehen, wie sie wollte.
    Costello stand im vorderen Zimmer und drehte sich langsam einmal im Kreis. Es war fast wie in einem Puppenhaus. Alles war nahezu tadellos aufgeräumt. Diesen Ordnungssinn hatte sie jedenfalls nicht geerbt, aber sie brauchte ja auch nicht so eine kleine Wohnung mit einer zweiten Person zu teilen. In der Mitte stand ein kleiner runder Tisch mit einer roten Decke. Die Speisekarte von Hazbeanz lag auf dem sorgfältig gefalteten Fernsehprogramm einer Tageszeitung. Zwei Filzpantoffeln standen gerade ausgerichtet unter dem einem Sessel, und auf einer Holzbank neben dem anderen waren Bücher gestapelt. Hier konnte man sich zu Hause fühlen, hier war es gemütlich. Ein guter Ort.
    An der Wand gegenüber dem Kamin hatte Tony eine große Korkwand aufgehängt. Daran waren Dutzende von Vogelzeichnungen festgesteckt. Costello ging hin und betrachtete sie genauer. Selbst ohne die Überschriften in einer sauberen Handschrift, wie sie schon lange nicht mehr in den Schulen unterrichtet wurde, konnte man die Vögel sofort erkennen. Sie wirkten richtig lebendig. Stockente, Rotkehlchen, Fasan, verschiedene Arten Möwen und andere Arten, von denen Costello nie gehört hatte. Und in den Ecken stand jeweils in angestrengten Großbuchstaben, ganz im Gegensatz zum Fluss des Strichs in den Zeichnungen, der Name ITSY . Browne hatte recht gehabt, sie hatte Talent gehabt.
    Hinter dem vorderen Raum gab es eine kleine Küche und ein sehr kompaktes Badezimmer, außerdem zwei kleine Schlafzimmer, in die jeweils gerade mal das Bett passte. Eins gehörte eindeutig Bobby, da der Boden mit verstreuten Kleidungsstücken übersät war. Sie ging in das andere und stand einen Moment lang da, um ein Gefühl für den Mann zu bekommen, der in diesem Zimmer gelebt hatte. Der kleine Tony. Ihr Dad.
    Sie zögerte, ehe sie die Schubladen der kleinen Kommode öffnete. Das Möbelstück war abgestoßen und alt, jedoch liebevoll poliert worden. Im
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