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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens
Autoren: Margot Käßmann
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Weg spüre ich Dankbarkeit – dafür, dass ich leben durfte, wie ich gelebt habe, bewahrt wurde, wo ich in Gefahr war. Dankbar bin
     ich auch für die schweren Erfahrungen, die mich haben reifen lassen. Dankbar für Menschen, die mich begleitet haben auf meinem Weg ins Leben und durch das
     Leben.
    Wer so zurückblicken kann auf gute und auf schlechte Zeiten, wird die Lebenslust nicht verlieren und mutig nach vorn blicken auf neue Erfahrungen,
     andere Zeiten, überraschende Erfahrungen. Lebenslust ist mir wichtiger geworden im Laufe des Lebens. Wenn meine Töchter manchmal Kummer haben, versuche
     ich zu sagen, dass jeder Tag doch seine schönen Seiten hat – in ihren Ohren klingt das sicher altbacken und altklug zugleich …
    Eine Freundin schreibt mir: »Spüren, wie viel Lust auf Leben in mir steckt, wie viel Schönheit des Lebens im Alltag, in einer Beziehung, und das
     auch feiern, das ist wunderbar. So ist es mir gestern gegangen. Es war ein ›scheinbar‹ unspektakulärer Vormittag mit dir und dennoch war ich so glücklich,
     heiter wie lange nicht – ich habe die Zeit mit dir schlicht genossen. Das kann weder fraunoch man machen, aber die Kunst ist, es als
     solches wahrzunehmen, sich einlassen und nicht sagen, ›eigentlich‹ wollte ich heute aber … Das Leben leben, offen sein für das, was kommt, das ist eine
     hohe Kunst, die mir auch nicht immer gelingt, weil ich mit allem Möglichen blockiert bin – doch zunehmend bin ich offen für das Wissen, ich weiß nicht,
     wie viele solcher Vormittage mir noch geschenkt sein werden …«
    Vielleicht ist genau das die Weisheit, die in der Mitte des Lebens langsam zum Tragen kommt: Ein schöner Tag ist ein Geschenk, ein Moment des Glücks
     etwas Besonderes, und wer sich freuen kann an dem, was ist, und nicht ständig nörgelt an dem, was nicht ist – hat viel verstanden von dem, was Lebenslust
     ausmacht. Und am Ende sich von Gott gehalten wissen und das eben wissen: Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Für mich ist das die tragende
     Kraft in der Mitte des Lebens.
Mutig alt werden
    Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist.
    Sei also ohne Furcht und Angst, denn der Herr,
    dein Gott, ist mit dir überall, wohin du auch gehst. 61
    Diese Worte richtet Gott an Josua, so erzählt es die Bibel. Gleich mehrfach wird dieses »getrost und unverzagt« wiederholt. Dieses
     »unverzagt« ist mir eindrücklich geblieben aus einer Predigt, in der ein Pastor sagte: Es braucht »Menschen, die unverzagt reden und auftreten und auch
     dann noch unverzagt bleiben, wenn keines Menschen Reden und Auftreten mehr hilft.« Unverzagt – das ist ein schöner Begriff, finde ich. Er macht Mut, er
     zeigt etwas von gutem evangelischem Trotz (auch in der Musik, die Johann Sebastian Bach diesen Worten gegeben hat!): »Tobe Welt und springe, ich steh hier
     und singe in gar sichrer Ruh«. 62 Nicht von ungefähr hat der Liederdichter Paul Gerhardt diesen Begriff
     aufgenommen:

    Unverzagt und ohne Grauen
    soll ein Christ, wo er ist,
    stets sich lassen schauen.
    Wollt ihn auch der Tod aufreiben,
    soll der Mut dennoch gut
    und fein stille bleiben.

    Für mich gehört »unverzagt« auch in diese Mitte des Lebens. Wir haben manches hinter uns, nicht alles war gut und schön – sicher
     könnten wir an manchem verzagen. Ja, da hätten wir alle Lamentogesänge beizutragen. Aber wir verzagen nicht, sondern gehen mutig auf die letzte Strecke
     dieses Lebens! Wie lang sie sein wird – wir wissen es nicht. Aber Verzagtheit wäre eine völlig falsche Haltung, diese Wegstrecke anzugehen.
    Apropos Strecke: Beim Laufen habe ich gelernt, dass manchmal die Strecke vorher viel länger erscheint als danach. Ich war immer gegen Wettbewerbe,
     unsportlich war ich als Kind ohnehin. Als dann aber die Idee aufkam, eine »laufende Bischöfin« wäre doch ein wunderbarer »Werbeeffekt« beim
     Hannovermarathon, zumindest beim Zehn-Kilometer-Lauf »Pro Toleranz«, konnte ich mich dem kaum entziehen … Der Bruder einer Freundin, ein Sportlehrer,
     versprach, mit mir zu laufen. Mit T-Shirts »Evangelische Kirche laufend dabei« sind wir angetreten. Vorher dachte ich: zehn Kilometer! Und der Stress und
     alle gucken, ob ich auch ankomme … Beim Laufen dachte ich: Ist doch eine schöne Erfahrung, ich kann mich unterhalten, die Stimmung ist gut, und Menschen
     am Wegesrand feuern uns an. Zwischendurch meinte mein Laufpartner, wenn ich weniger reden würde, wäre die Zeit am
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