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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens
Autoren: Margot Käßmann
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Ende sicher besser. Aber da habe ich
     doch mehr Freude an der Kommunikation als an der Minutenzahl! Und schließlich war es (immer wieder) ein wunderbares Gefühl, anzukommen. Unverzagt, das
     heißt auch offen sein für neue Erfahrungen. Antreten. Ausprobieren. Schauen, was da kommt.
    Wenn ich ganz mutig bin, bin ich sogar gespannt auf das Sterben. Sicher, keiner und keine von uns weiß genau, wie das sein wird. Alle wünschen sich einen Tod, der unbemerkt im Schlaf kommt. Aber wäre es nicht auch gut, ihn bewusst zu erleben? Mein Idealbild ist ein Hospiz. Das eine oder andere konnte ich kennenlernen. Ich stelle mir einen Abschied vor von denen, die ich liebe, in Geborgenheit und Ruhe. Und dann ein bewusstes Loslassen dieses Lebens … Wann immer ich Sterbenden die Hand halten konnte, habe ich erlebt: Der Tod zeigt eine große Verletzlichkeit. Aber auch viel Zärtlichkeit und Freiheit.
    Dabei weiß ich: Zum Altwerden gehört Mut. Es ist ja manchmal fast merkwürdig, sich selbst alt werden zu sehen. Da fühle ich mich eben noch »fit wie ein Turnschuh« und sehe dann ein Foto von mir, auf dem die Hände Bände sprechen: Diese Hände sind die Hände einer alternden Frau … (und ich gebe zu, eine kleine Schadenfreude habe ich empfunden, selbst bei »Madonna« zu sehen, dass die Hände ihr Alter verraten; sie ist mein Jahrgang und sieht im Übrigen zwanzig Jahre jünger aus). Und dann sehe ich wieder ein Foto von mir mit grauen Haaren und bin versöhnt damit, weil es meinem Lebensgefühl entspricht.
    Beim Älterwerden kommt irgendwann unweigerlich der Tod in den Blick. Im Glauben habe ich die Zuversicht, dass er nicht das Ende ist – und das ist
     nicht, wie viele meinen, eine billige Vertröstung auf das Jenseits. Wer sich in der Mitte des Lebens befindet, muss sich der Frage nach dem Tod
     stellen. »Die Hoffnung auf ewiges Leben richtet sich darauf, dass dieses erfüllte Leben im Tod und durch den Tod hindurch bleibt , durch
     nichts mehr bedroht und in Frage gestellt werden kann und insofern vollendet wird « 63 , sagt Wilfried
     Härle. Mit solcher Perspektive verändert sich noch einmal die Wahrnehmung der Mitte des Lebens. Ist vielleicht der Tod selbst eine Mitte, zwischen diesem
     Leben und der Ewigkeit? Das Entscheidende, so oder so, in den Worten eines Psalmdichters: »Meine Zeit steht in deinen Händen« (Ps. 31,16).
    Ganz gleich, in welcher Phase unseres Lebens wir uns befinden: Wir dürfen glauben, dass es von Gott getragen und gehalten ist. Wer so glauben kann, strahlt eine innere Ruhe und Gewissheit aus, die sich nicht so leicht irritieren lässt von Herausforderungen und Modeerscheinungen. Und wer so glauben kann, hat den Mut, auch die Mitte zu überschreiten auf ein Ende zu, das für Christinnen und Christen eben kein Schlusspunkt ist, sondern ein Übergang.
    Also bleibe ich mutig und unverzagt und geradezu auch neugierig auf das, was kommt. Nicht dass ich keine Angst hätte; es wäre doch merkwürdig, so zu tun, als wäre mir das Alter, die mögliche Demenz, eine drohende Parkinson- oder Alzheimererkrankung oder eine weitere Krebserkrankung völlig gleichgültig. »Unverzagt« heißt aber auch: mit Würde weiter und auf das zugehen, was kommt. Den Mut haben, dazu zu stehen, wie ich es immer wieder bei Menschen bewundere.
    Zur Unverzagtheit gehört für mich zweierlei: Gottvertrauen und Menschenliebe. Mich hat Gottvertrauen immer geprägt. Ich bin auch überzeugt, dass Gott
     uns hält über die Grenze des Lebens hinweg. Wunderbar beschreibt das der Apostel Paulus, wenn er sagt: »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles
     Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.« 64 Wir stehen auf der einen Seite des Spiegels, so Paulus.
    Jostein Gaarder, der bekannte Autor von »Sofies Welt«, erzählt in seinem Buch »Durch einen Spiegel in einem dunklen Wort« von Cecilie, einem Mädchen,
     das sterbenskrank ist und ihr letztes Weihnachtsfest erlebt. In ihrem kleinen Notizbuch notiert sie ihre Gedanken. Sie liegt in ihrem Zimmer,
     Weihnachtsgeräusche dringen zu ihr nach oben, ihr kleiner Bruder Lasse kommt öfter und erzählt vieles. Auf ihrer Reise auf den Tod hin lernt sie den Engel
     Ariel kennen. Sie spürt das Sterben nicht, die Leserin ahnt es. Cecilie begleitet Ariel auf einem Flug: »Etwas später flogen sie zum offenen Fenster
     zurück und setzten sich auf die Fensterbank, wo Ariel bei seinem ersten Besuch
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