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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens
Autoren: Margot Käßmann
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Das werde ich nicht vergessen. Zürich habe ich durch dich erst kennen gelernt als schöne Stadt und nicht nur als Tagungsort. Das Gleiche gilt etwa für das Jura, das ich von Genf aus immer nur gesehen habe, bis du mit mir zum Essen hingefahren bist. Mit dem Laufen hattest du es ja nicht so, da hast du mich oft aufgezogen, jaja, zwanghafte Deutsche …
    Und lachen muss ich heute noch, als ich als selbstständige Frau erklärt habe, jedes zweite Mal würde ich das Essen bezahlen. Das hat dir den ganzen Abend verdorben und ich habe es nie wieder getan. Ganz glücklich bin ich, dass du zu meiner Einführung als Bischöfin hier in Hannover warst, ebenso wie Konrad und Salpy und Aruna. So war ein gewichtiger Teil meines Lebens und Engagements in der ökumenischen Bewegung da. Ich weiß, dass du deswegen eine Operation verschoben hast …
    Als wir über den Film »Harry und Sally« diskutiert haben, ging es ja heftig um die Frage, ob Freundschaft zwischen Frauen und Männern möglich ist. Was wir miteinander erlebt haben, wenn auch oft über große Distanzen und Zeiträume hinweg, hat für mich eigentlich bestätigt, dass das möglich ist.
    So vieles fällt mir heute Abend ein: Eine Szene, die ich nie vergessen werde, spielt in Harare/Simbabwe, 1998. Ich war davon ausgegangen – nach allen Debatten zu Recht, glaube ich noch immer – dass am Ende der Ökumenischen Dekade der Kirchen in Solidarität mit den Frauen eine Frau Vorsitzende des Zentralausschusses werden würde. Soll ich die ganze Geschichte wirklich erzählen? Sie ist teilweise ziemlich übel … Alles war verabredet, hinter den Kulissen. Wir waren stolz, dass es klar war. Taktik und Solidarität der Frauen! Und plötzlich tauchten da Unterschriften auf für den bisherigen, orthodoxen Vorsitzenden, angeblich, um den ÖRK zu retten. Und unsere kleine, offensichtlich viel zu naive Frauentaktik war zunichte. Ich konnte das einfach nicht fassen …
    Du kamst und hast gesagt: »Du musst hier raus«. Und hast mich aus dem Campus der Universität, auf dem wir in – sagen wir »interessanten« – Umständen hausten, zum Essen mit ins Zentrum von Harare genommen. Wer saß im Restaurant? Fast alle bei der Vollversammlung anwesenden Journalisten. Und: Sowohl Janice Love aus den USA , mit der ich seit Jahren befreundet bin und die wir als Vorsitzende gesehen hatten, als auch Trond Bakkevik aus Norwegen, der Vorsitzende des Internationalen Ausschusses. Also taten wir vier uns zusammen. Das war ein wunderbares Dinner. Gewiss, kolonialer Stil, das werden wir zugeben müssen. Janice und ich haben allerdings das »große Heulen« gekriegt – was mir äußerst selten passiert! Lieber Jan, das werde ich nie vergessen: eine Amerikanerin, ein Norweger, eine Deutsche, ein Holländer – die Journalisten, die dort ebenfalls gegessen haben, hat das eher verwirrt. Danke euch Dreien, ich hätte diese Situation sonst kaum verkraftet! Janice sagt über diesen Abend übrigens genau dasselbe …
    Ja, das ist wunderbar an der ökumenischen Bewegung, diese Freundschaft über Kontinente und Nationen und Kirchen hinweg. Diese Freundschaften bestehen und tragen. Sie haben sogar über die Gräben derWeltkriege hinweg getragen. Du erwähnst T. K. Thomas in deinem Brief, der vergangenes Jahr in Indien starb. Er war dein persönlicher Freund. Ich könnte Aruna aus Indien erwähnen, aber auch Salpy aus Zypern, Rubem aus Rio, viele andere. Werner Simpfendörfer, der mich zu so vielem ermutigt hat, hat einmal gesagt, die Geschichte der ökumenischen Bewegung müsste eigentlich als Theologie der Freundschaft geschrieben werden.
    Ich habe dich am Telefon gefragt, ob ich im Rahmen dieses Projektes schreiben darf an dich. Du hast gesagt, es sei eine wunderbare Idee, »write whatever you want« – schreib, was immer du willst. Ich werde dir den Brief schicken, bevor er veröffentlicht wird, du bist schließlich der Experte in Sachen Veröffentlichung. Ich hoffe, die Post ist jetzt schneller als bei deinem Weihnachtsbrief. Bis auf eine Postkarte ab und zu über all die Jahre, haben wir uns ja übrigens nie geschrieben. Am 21. März ist dein 60. Geburtstag. Nimm es also als eine Art vorgezogenen Geburtstagsbrief.
    Und wenn wir uns dann einst wiedersehen, möchte ich mit Marlin und dir intensiv über ein Buchprojekt sprechen, bei einem guten Glas Wein und einem Essen, das uns richtig schmeckt. Wer weiß denn, wie es sein wird, dann, wenn Gott alle Tränen abgewischt hat? On verra, wir werden sehen! Bis
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