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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens
Autoren: Margot Käßmann
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gesessen hatte. Beide blickten auf CeciliesBett. Sie
     fand es seltsam, dass sie sich selbst dort liegen sehen konnte. Ihre blonden Haare waren über das Kissen gebreitet, und auf die Bettdecke hatten sie den
     alten Weihnachtsstern gelegt. ›Ich finde mich auch schön, wenn ich schlafe‹, sagte sie. Ariel hielt ihre eine Hand. Er blickte zu ihr hoch und sagte: ›So,
     wie du hier sitzt, bist du noch schöner.‹ ›Aber das kann ich nicht sehen, jetzt bin ich doch auf der anderen Seite des Spiegels.‹ Erst als sie das gesagt
     hatte, ließ Ariel ihre Hand los. ›Du siehst aus wie ein prächtig gekleideter Schmetterling, der von Gottes Hand losgeflogen ist‹, sagte er.« 65
    So endet Gaarders Buch. Für mich ist das eine wunderbare Übersetzung der Frage nach Gott und dem Sinn und dem Tod. Cecilie ist auf der anderen Seite
     des Spiegels. Auf unserer Seite können wir uns die Trauer der Eltern, die Tränen der Großeltern, den Kummer des Bruders vorstellen. Für das Mädchen aber
     hat sich die Perspektive verändert. Das Stückwerk nimmt ein Ende. Sie erkennt, wie sie schon immer erkannt war. Auf solche Weise, das glaube ich, sind die
     Menschen, die uns in dieser Welt verlassen, jetzt auf der anderen Seite des Spiegels. Sie wissen sich erkannt und geborgen und können einen Blick
     zurückwerfen in Liebe.
    Schließen wir also mit dem Apostel Paulus. 66 Auch in der Mitte des Lebens bleiben diese Drei: Glaube, Liebe,
     Hoffnung. Aber die Liebe ist die größte unter Ihnen. Darauf verlasse ich mich. Der Tod wird sein. Aber davor noch kommt diese andere Lebensphase, auf die
     ich neugierig bin. Vor dem Tod gibt es noch viel zu er-leben, darauf bin ich gespannt. Ich hoffe, ich kann alt werden und nicht bereuen, wie ich gelebt
     habe. Es war so, wie es war. Mit dem Kreislauf des Lebens kann ich mich einverstanden erklären.
    Ich hoffe auf einen ruhigen Tod ohne zu viel Leiden. Und wenn Leiden unvermeidlich ist, hoffe ich auf die Kraft, die ich dafür brauche. Solche Kraft
     ist immer Geschenk, Gnade. Das ist mir oft bewusst, wenn ich im Vaterunser bete »… denn dein ist die Kraft«. Dass ich Lebenssattheit und -zufriedenheit
     spüren werde, wünsche ich mir. Sie ist erfahrbar und erlebbar, wo ich dankbar zurückblicken kann und neugierig bleibe. DasBewusstsein,
     das Leben aus Gottes Hand genommen zu haben, von Gott gehalten zu sein in diesem Leben und es eines Tages in Gottes Hand zurückzugeben, nie tiefer fallen
     zu können als in Gottes Hand, das gibt mir das Gleichgewicht, das ich in der Mitte des Lebens brauche.
    59 Lukas 4,16.
    60 Vgl. Hans Leyendecker, Ein bisschen Krieg, in: SZ 16.06.08. S. 1.
    61 Josua 1,9.
    62 Evangelisches Gesangbuch 396,3.
    63 Wilfried Härle, Dogmatik, Berlin 2000, S. 646.
    64 1. Kor. 13,12.
    65 Jostein Gaarder, in: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort, Carl Hanser Verlag,
München Wien 1996, S. 152.
    66 1. Korinther 13.
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