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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens
Autoren: Margot Käßmann
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der Tatsache, dass Hiob nicht gesündigt hat und sich von daher sein Unglück nicht erklären lässt. Hiob versucht, sich in Gott hineinzudenken, auch wenn es allen bisherigen Interpretationsversuchen widerspricht. Die Antwort Gottes an Hiob ist der Verweis auf die Schöpfermacht, ohne dass so das Leiden erklärt wird. Die Botschaft an Hiob ist, dass auch das Leiden in den Glauben an Gott hineingenommen wird.
    Im Jona-Buch kommt es dann zur klaren Abkehr vom sogenannten Tun-Ergehens-Zusammenhang: Ninive wird nicht zerstört, obwohl die Stadt es aufgrund ihrer Boshaftigkeit verdient hätte. Vielmehr erhält Ninive eine Chance zur Umkehr. Gottes Zorn über Ninive wird von seiner Reue überwunden. Gott straft nicht, sondern erweist sich als barmherzig, gütig. So zeigt sich, dass Gott nicht starr und unveränderlich ist: Es gibt eine Beziehungsgeschichte zwischen Gott und den Menschen, denen er sich immer wieder neu zuwendet, die er nicht loslässt. In ihr wird die Barmherzigkeit und Geduld Gottes sichtbar. Das Motiv der Strafetritt auch im Gesamtzeugnis des hebräischen Teils der Bibel in den Hintergrund.
    Das Zeugnis des Neuen Testamentes weist eine Deutung von Leid und Bösem als Strafe eindeutig zurück (zum Beispiel: Lukas 13,1-5). In Jesus Christus offenbart sich Gott ein für alle Mal als ein liebender Gott, der unter Verzicht auf menschliche Macht und Gewalt den Menschen Gemeinschaft eröffnet. Das können wir immer wieder schwer verstehen. Was für eine Provokation: Gott, der als Kind zur Welt kommt. Jeder und jede, die das Zusammenspiel von Schmerz und Hoffnung während einer Geburt erlebt hat, ahnt die Dimension dieser Provokation. Gott, der qualvoll am Kreuz stirbt! Muss Gott nicht ein starker Held sein, der alle besiegt? Oder einer, der über allem steht? Können wir an einen ohnmächtigen Gott glauben – oder ist das nicht geradezu lächerlich?
    Die Geschichte von Jesus Christus fordert uns dazu heraus, die Allmacht und die Ohnmacht Gottes zusammen zu denken. Dietrich Bonhoeffer schreibt in
     seinen Briefen aus dem Gefängnis: »Gott lässt sich aus der Welt hinaus drängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und nur so ist er
     bei uns und hilft uns.« Und die Auferstehung sagt: Gott will das Leiden schon in dieser Welt überwinden mit der Macht der Liebe allein – nicht mit Krieg
     oder durch Gewalt. Wer immer den Namen Gottes im Munde führt, sollte das bedenken! – Und das gilt besonders für diejenigen, die politische Leitfiguren
     sein wollen. Die Liebe ist verletzlich, verwundbar, aber sie ist auch stärker als der Tod! Von dieser Verheißung auf Gottes neue Welt leben wir. Diesem so
     offenbar gewordenen Gott dürfen wir vertrauen, an ihn glauben und uns ihm mit all unseren Verwundungen und Verletzungen anvertrauen. Das hat Jesus
     Christus verkündigt, dafür hat er gelebt und ist er gestorben und darin ist er in der Auferstehung bestätigt worden. An diesen Gott halten wir uns, das
     ist unser Heiland. Luther übrigens hat an der Rede vom Verborgensein Gottes immer festgehalten, um diese Erfahrung des Fremdwerdens Gottes zur Sprache zu
     bringen und dennoch den Glauben zu bezeugen,dass alles in Gottes Hand ist. Luther warnt gerade davor, diesen verborgenen Gott, den Deus absconditus ergründen und deuten und sich so Gottes bemächtigen zu wollen.
    Es bleibt also beim Nachdenken, bei Auseinandersetzungen um die Frage der Allmacht Gottes und nach dem Zulassen des Leidens. Nein, bessere Antworten
     als Generationen vor uns haben wir nicht. Mir liegt daran, dass wir nicht versuchen, exakte oder logische Antworten zu finden, sondern den Mut haben, uns
     Gott anzuvertrauen, im Wissen darum, dass Gott Leben will und nicht Tod. Es geht um das Vertrauen Jesu, das Lukas bezeugt: »Vater, ich befehle meinen
     Geist in deine Hände« (Lukas 23,46). Jesus hat aus dem Schrei der Gottverlassenheit zurückgefunden zum Gottvertrauen. Das ist kein schneller Weg. Das ist
     ein Weg über Kreuz und Tod. Jesus geht offensichtlich mit Wunden in Gottes Reich ein. Er wird Thomas nach der Auferstehung keinen makellosen,
     unverwundeten Körper zeigen. Gerade an den Wunden erkennen die Jüngerinnen und Jünger den Auferstandenen.
    Darum geht es wohl auch bei uns. Selbst wenn unsere Wunden, unsere Verletzungen, unsere Brüche im Leben heilen, bleiben sie Teil unserer Geschichte. Sie können vernarben, aber nicht aus unserem Gedächtnis getilgt werden. Es gibt kein Leben ohne Brüche, ohne Narben.
    Die
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