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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Käßmann
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finden für den eigenen Weg.
Grenzen erkennen
    … und es erging Sara nicht mehr nach Frauenart … 29
    Wenn ich zurückdenke, merke ich, wie sich die Wahrnehmung verschiebt: Von meiner Großmutter dachte ich immer, sie sei einealte Frau gewesen, als sie den Zweiten Weltkrieg, Besatzung und Vertreibung erlebte. Sie war 49 Jahre alt, als sie Hinterpommern verlassen
     musste – jünger als ich heute! Doch sie galt damals offenbar unhinterfragt als alt. Und dabei hatte sie zu diesem Zeitpunkt gerade erst knapp die Hälfte
     ihres Lebens gelebt – sie ist am Ende 96 Jahre alt geworden, ich habe sie 1987 beerdigt. Was hat sich seither für Frauen verändert, das ist doch sehr
     positiv! 50-jährige, 60-jährige, 70- und 80-jährige Frauen leben heute oft viel selbstbewusster und selbstbestimmter. Natürlich erleben die Alten heute
     auch das: Die Jungen werden ungeduldig an der Supermarktkasse, der Arzt überlegt, ob sich die Hüftoperation überhaupt noch lohnt, und in den Todesanzeigen
     erscheinen immer häufiger die eigenen Jahrgänge.
    Oder ist es schlicht nichts anderes als subjektive Wahrnehmung, wie wir das – unser – Lebensalter empfinden? Zu meinem 50. Geburtstag erhielt ich
     folgendes Gedicht:

    Das große Glück, noch klein zu sein
    sieht wohl der Mensch als Kind nicht ein,
    und möchte, dass er ungefähr
    schon 16 oder 17 wär.
    Doch dann mit 18 denkt er: Halt,
    wer über 20 ist, ist alt.
    Kaum ist die 20 grad geschafft,
    erscheint die 30 greisenhaft.
    Und dann die 40, welche Wende,
    die 50 gilt beinah als Ende.

    Doch nach der 50, peu à peu,
    schraubt man das Ende in die Höh.
    Die 60 scheint jetzt ganz passabel
    Und erst die 70 miserabel.
    Mit 70 aber hofft man still,
    ich werde 80, so Gott will.
    Wer dann die 80 überlebt,
    zielsicher nach der 90 strebt.
    Dort angelangt, zählt man geschwind,
    die Leute, die noch älter sind. 30

    Gibt es wohl eine »Kunst des Alterns«? Und wenn ja, wie sieht sie aus, lässt sie sich erlernen? Wird der Mensch dann weise, entsteht
sozusagen ein ausgeglichenes, von Erfahrung gereiftes Leben? Oder ist das reine Selbsttäuschung? Weil der Mensch alt wird, ob er will oder nicht und
Altern nun mal viele negative Seiten hat? Als ich mit der inzwischen verstorbenen Schweizer Theologin Marga Bührig eines Abends bei einem Glas Rotwein
zusammensaß und wir ein intensives Gespräch über das Leben führten, sagte sie nachdrücklich: »Weißt du, ich hasse es, alt zu werden, es ist einfach nur
scheußlich!« Das war sehr ehrlich gemeint. Sie hasste es, wie alles langsamer ging, dass hier ein Zipperlein auftrat und da eine Fähigkeit abnahm. Es
wird oft belächelt, wenn alternde Frauen über ihre gesundheitlichen Probleme sprechen. Frauen werden heute in Westeuropa ja älter als je zuvor. Früher
war es vor allem das Gebären, das ihnen einen frühen Tod brachte. Diese Gefährdung hat durch den Zugang zu Verhütungsmitteln, die gute Ernährung und
medizinische Versorgung sowie die veränderten Lebensbedingungen in den westlichen Industrienationen rapide abgenommen. Aber trotzdem ist Altern mit dem
Schmerz verbunden, Abschied nehmen zu müssen von jugendlicher Gestaltungskraft, von hochfliegenden Zukunftsplänen. Wer altert, muss zurückblicken, nicht
Gelungenes sehen, Trauer über Versäumtes bewältigen. Und mit dem Älterwerden kommen auch gesundheitliche Probleme – ein notwendiges Verlangsamen in
einer Zeit, die Geschwindigkeit und Mobilität so sehr liebt. Grenzen werden ganz individuell sichtbar in einer Gesellschaft, die gerne unbegrenzte
Möglichkeiten preist.
    Frauen altern anders als Männer und stehen dabei auch vor ganz eigenen Herausforderungen. Dabei scheint das Klimakterium eines der letzten großen Tabus
zu sein. Wer redet schondarüber? Hitzewallungen, Kopfschmerzen, und: Die Periode bleibt aus! Was das bedeutet, weiß schon die Bibel,
wenn es etwa im 1. Buch Mose heißt: »Sara ging es nicht mehr nach der Frauen Weise«. Für viele Frauen ist das ein entscheidender Einschnitt. Seit der
Pubertät hat die Periode sie begleitet, manches Mal sie belastet, ihr Eintreten wurde ersehnt oder verwünscht, und jetzt wird erkennbar: Ein neuer
Lebensabschnitt beginnt. Offen gestanden fand ich es eine erfreuliche Mitteilung, als meine Gynäkologin mir sagte, der Hormonspiegel zeige, ich könne
nun nicht mehr schwanger werden. Aber mit dem Abschied von der Gebärfähigkeit ist eine endgültige Weichenstellung verbunden. Habe ich bis dahin keine
Kinder bekommen, so ist die

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