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In der Hitze der Stadt

In der Hitze der Stadt

Titel: In der Hitze der Stadt
Autoren: Roger Aeschbacher
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eingefallen.« Er drehte sich zu der Menge, die artig hinter den Absperrungen verharrte.
    Immer wieder schob sich ein Neuer in diese Gruppe, fragte einen aus der Menge, was los sei, und bekam von den Anwesenden die schauerliche Geschichte erzählt.
    »Was, ein Mädchen ist tot? Neeein?«, hörte man dann seine Stimme in der Menschenmasse.
    »Doch, doch«, erwiderte ein anderer, erschreckt und erfreut zugleich, an einer solchen Sache direkt beteiligt zu sein.
    Der Kommissar ertrug diese Gaffer nicht. Er musste sich schnell beschäftigen, bevor wieder Gedanken kamen an das tote Mädchen.

    Wo beginnen?

    Dort, wo er aufgehört hatte. Beim Vater. Das Kind musste einen Papa, eine Familie haben. Da die Mutter nicht vernehmungsfähig war, war ihr Mann der nächste Ansprechpartner. Also trat der Kommissar noch näher an die Menge, richtete sich demonstrativ auf.
    »Mal alle herhören!«, brummte seine Stimme mächtig los. Die Passanten, Heinzmann, Meier und auch die Forensiker blickten sofort zu ihm hin. Baumer fragte: »Wer kannte das Mädchen?«
    Seine Kollegen schauten wieder weg. Baumer machte nur seinen Job, wollte Informationen von den Leuten. Dazu brauchte er sie nicht. Also arbeiteten sie weiter.
    Die Leute, die am rot-weiß gestreiften Band anstanden, starrten den Kommissar hingegen an wie Ziegen, die auf Futter warten. Doch keiner antwortete. Die meisten schauten nur hin und her, ob irgendjemand anderes die Frage beantworten würde. Alle zuckten sie mit den Schultern, zogen die Mundwinkel herunter oder schüttelten den Kopf. Einzig der alte Mann, der zuvor ein Kreuz geschlagen hatte, öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber senkte doch sein Haupt, drehte sich um und löste sich rasch aus der Gruppe. Sogleich wurde der von ihm freigegebene Platz von einem besetzt, der glücklich war, den Hals nicht mehr so strecken zu müssen.
    Baumer war enttäuscht. Ein Schuss ins Leere. Da er keine weiteren Fragen stellte, wandten sich die Zuschauer wieder ab von ihm, beobachteten erneut die Männer im Ring, die in ihren aufgeplusterten Anzügen an Mondfahrer erinnerten, die auf einem fernen Trabanten Gesteinsproben sammelten.
    Baumer ging los. Das war instinktiv geschehen. Er ging dem alten Mann hinterher, der sich zuvor aus der Gruppe gelöst hatte. Der Kommissar hob das Absperrband, damit er auf den Gehsteig gelangen konnte. Etwa dreißig Meter voraus sah er den alten Mann marschieren. Er folgte ihm mit schnellem Schritt.
    Der Mann – der Flüchtende? – war ein etwa 80-jähriger Rentner. Er trug einen dunkelbraunen Anzug, Hemd und dunkle Krawatte. Die Haare des Mannes waren gewellt, brüchig und von der Sonne gelblich gebleicht, aber immer noch erstaunlich dicht. Am Nacken, zwischen Hemdkragen und Haaransatz, sprossen graue Haare in rauen Mengen. Ein Coiffeurbesuch wäre wohl bald angesagt gewesen, doch Baumer sah an der abgenutzten Kleidung des Alten, dass er sich solchen Luxus auch in den nächsten Wochen nicht leisten würde.
    Von hinten schien der Mann ziemlich wacklig unterwegs zu sein, doch waren es nur seine ausgeprägten O-Beine, die den Gang des Rentners beeinträchtigten. Bei jedem Schritt rotierten seine Arme. Die Absätze seiner Schuhe waren völlig schief getreten. Ein weiteres Zeichen dafür, dass der Alte kein Erspartes mehr hatte, wohl nur von der staatlichen Altersrente lebte. Womöglich hatte er auch keine Pension, sonst wäre er besser ausstaffiert gewesen.
    Der Kommissar beeilte sich, dem Alten nachzukommen. Als er fast auf seiner Höhe war, bemerkte der Rentner, dass hinter ihm einer ging und drehte seinen Oberkörper im Gehen zurück, so gut er dies in seinem fortgeschrittenen Alter noch tun konnte.
    »Entschuldigen Sie«, sprach ihn Baumer sogleich an.
    Der Alte erschrak heftig, als ihm bewusst wurde, dass es einer dieser Polizisten war, der ihn angesprochen hatte. Er schwankte hin und her, als könne er sich nicht entscheiden, ob er weglaufen oder bleiben solle, strauchelte beinahe. Aber dann überlegte er es sich doch noch einmal und blieb endlich stehen. »Was wollen Sie von mir?«
    Andreas Baumer schwieg. Was wollte er von diesem Mann? Er wusste es noch nicht genau. Also sagt er: »Ich habe Sie vorhin da stehen sehen.« Er schwenkte seine Hand langsam zum Tatort und drehte auch seinen Kopf dorthin.
    Der Alte folgte der Richtung, in die die Hand und die Augen zeigten. Er betrachtete die Szene lange, dann sagte er, wie zu sich selbst: »Das ist schrecklich. Einfach schrecklich.«
    »Warum sind
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