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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung
Autoren: Gianrico Carofiglio
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und Nachtzeit die Musik voll auf, machten Lärm und betranken sich.
    »Ich bin sicher, dass sie auch Drogen nehmen«, schloss der Alte lapidar.
    Roberto packte die Gelegenheit beim Schopf.
    »In der Tat haben wir Hinweise aus vertrauenswürdigen Quellen, dass in einer Wohnung dieses Gebäudes Jugendliche Rauschmittel nehmen und vielleicht auch damit dealen. Ich soll das überprüfen.«
    »Und so einen Einsatz machen Sie ganz allein? Sollte das nicht eine Gruppe oder ein ganzes Kommando tun?«
    Der Alte war alt, aber nicht dement. Roberto musste beinahe lachen, aber er antwortete ihm mit gebührendem Ernst.
    »Da haben Sie ganz recht, wir sind auch zu dritt. Meine Kollegen sind unten auf der Straße geblieben, um Flüchtige aufzuhalten oder Drogen einzusammeln, die aus dem Fenster geworfen werden. Das ist so üblich bei Dealern, wenn wir einen Einsatz ausführen: Sie werfen die Drogen auf die Straße, damit wir sie nicht finden. Jetzt aber bräuchte ich Ihre Hilfe für meinen Einsatz.«
    Der Mann schien jetzt überzeugt zu sein, steckte die Pistole in den Gürtel seiner Hose und sah Roberto erwartungsvoll an. Sein Gesicht signalisierte, dass er bereit war mitzumachen. Roberto dachte, dass das eine der komischsten Situationen seiner Laufbahn als Bulle war.
    »Ich bin bereit.«
    »Haben Sie vielleicht einen Balkon, der an den der Wohnung nebenan grenzt?«
    »Ja, sicher.«
    »Dürfte ich ihn sehen?«
    »Was haben Sie denn vor?«
    »Ich möchte von Ihrem Balkon auf den der anderen Wohnung klettern, um die Leute zu überraschen. Wissen Sie, wenn ich an der Tür klingle, könnten sie die Drogen einfach verschwinden lassen, etwa in der Toilette runterspülen.«
    Das war eine überzeugende Erklärung. Der Alte bat Roberto, ihm zu folgen, und führte ihn durch die Wohnung, die immer stärker nach Mottenpulver roch, bis sie zu dem Balkon kamen, der auf den Hof ging. Die Hofbalkone grenzten aneinander, so dass man leicht über das Geländer klettern konnte. Die Balkontüren der Nachbarwohnung waren nicht vergittert oder mit Fensterläden verschlossen. Die Scheiben schienen auch nicht aus Panzerglas zu sein, und man würde sie leicht einschlagen können.
    Der Alte wollte jetzt mitmachen, zugleich bewahrte er sich jedoch einen Rest Wachsamkeit. Er war alles andere als dement, dachte Roberto.
    »Braucht man denn für so etwas keine richterliche Ermächtigung?«
    »Normalerweise schon, da haben Sie recht. Aber in Notfällen – und dies ist ein Notfall – darf die Polizei auch auf eigene Initiative Haussuchungen durchführen. Das ist durch Artikel 103 des Betäubungsmittelgesetzes geregelt. Natürlich müssen wir nachträglich die Einwilligung des Richters einholen, um die Beweise geltend zu machen.«
    »Haben Sie denn keine Pistole?«
    Tja, das war eine gute Frage. Nein, habe ich nicht, weil sie sie mir abgenommen haben. Sie sagten, dass ich praktisch verrückt sei, und deshalb haben sie sie mir abgenommen. Nein, ich habe keine Pistole, und mit aller Wahrscheinlichkeit werde ich – in Anbetracht dessen, was ich hier vorhabe – auch nie wieder eine bekommen.
    »Nun ja, bei bestimmten Einsätzen verwenden wir keine Waffen, um keine Schießereien auszulösen. In diesem Fall handelt es sich nach unseren Informationen um Minderjährige, und in solchen Fällen sieht unsere Dienstvorschrift keinen Einsatz von Schusswaffen vor.«
    Dienstvorschrift. Im Verzapfen von Blödsinn war er immer noch ein Meister.
    Der Alte meinte, sie könnten jetzt loslegen, aber mit Vorsicht, denn es könne gefährlich werden.
    Stimmt, es konnte gefährlich werden. Ein paar Augenblicke lang überkam Roberto, dem noch nie in seinem Leben schwindlig geworden war, eine Panikattacke, die ihn – das war ihm sofort klar – überwältigen und lähmen konnte. Er war siebenundvierzig Jahre alt, das war sein letzter Gedanke, bevor er über das Geländer stieg, außen am Gitter entlang einen halben Meter über den Abgrund und dann über das Geländer des angrenzenden Balkons kletterte, während das Herz ihm schier aus dem Hals springen wollte.
    Er sah durch die Balkontür ins Innere der Wohnung. In dem Zimmer war niemand. Im Hintergrund dröhnte laute Musik, die Scheibe klirrte unter den Bässen von House-Musik.
    Roberto wickelte sich die Jacke als Dämpfer um die Hand und schlug nur einmal zu, beinahe sanft. Das Glas zersplitterte rund um den Schlag, nur so viel, wie nötig war, und so leise, dass man es bei der lauten Musik gar nicht hörte. Er schob die Hand durch
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