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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung
Autoren: Gianrico Carofiglio
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die Öffnung, drehte am Türgriff und öffnete ihn, ohne nachzudenken. Die Entscheidung, was er dann tun würde, hing davon ab, was er dort vorfand. Er durchquerte einen langen, dunklen Flur ohne Möbel und folgte dem rhythmischen Hämmern der Musik.

29
    Als er das Zimmer betrat, fand Roberto dort all das vor, was er auf unklare Weise geahnt hatte. Das Mädchen und der dritte Junge lagen auf dem Bett. Die anderen beiden filmten sie mit ihren Handys aus verschiedenen Perspektiven, als drehten sie einen Film nach primitiven, aber präzisen Regieanweisungen.
    In Wirklichkeit hätte Roberto das, was er sah, nicht zuverlässig wiedergeben können. In seiner Erinnerung vermischten sich diese Bilder mit denen, die er wenig später in den Filmsequenzen sah, zu einer abstoßenden, beängstigenden, unbarmherzigen Mechanik unreifer Körper.
    »Carabinieri«, rief er laut, um die dröhnende Musik zu übertönen. Es war das dritte Mal innerhalb kurzer Zeit, dass er das tat.
    »Werft eure Handys auf den Boden. Du gehst vom Bett runter, ihr alle kniet euch mit dem Gesicht zur Wand, Hände hinterm Rücken.«
    Der Muskulöse versuchte, sich aufzuspielen.
    »Was zum Teufel willst du hier? Wer bist du? Das ist eine Privatwohnung, mein Vater ist Rechtsanwalt und befreundet mit …«
    Roberto ging auf ihn zu und gab ihm eine Ohrfeige.
    »Mach diese verfluchte Musik aus und knie dich hin, mit dem Gesicht zur Wand und den Händen hinter dem Kopf. Ihr anderen tut dasselbe, und wenn ich das noch einmal wiederholen muss, werde ich wirklich böse.«
    Der Anwaltssohn schien noch etwas erwidern zu wollen. Doch als er Robertos Blick sah, überlegte er es sich anders. Er warf das Handy auf den Boden, drehte die Stereoanlage aus und kniete sich vor die Wand. Der Typ, der auf dem Bett gelegen war, stand auf. Er war vom Hemd abwärts nackt. Er hatte ein glattes Kindergesicht und das haarige Geschlechtsteil eines erwachsenen Mannes. Er stolperte, während er versuchte, seine Hose anzuziehen. Er sah aus wie ein Kind, das gleich in Tränen ausbricht, und auch er kniete sich hin, das Gesicht zur Wand. Der Dritte stand noch wie gelähmt da und sah aus wie jemand, dem gerade bewusst wird, in was für eine schlimme Situation er sich gebracht hat. Roberto sah ihn an und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, was er zu tun hatte. Der Junge kam zu sich, gab ihm sein Handy und kniete sich zu den anderen.
    Die Stille, die plötzlich auf die ohrenbetäubende Musik gefolgt war, machte die Situation noch irrealer. Das Mädchen auf dem Bett versuchte sich anzuziehen. Ihr Körper war auf geheimnisvolle und rührende Weise aus zwei Geschöpfen zusammengesetzt: einer Frau und einem kleinen Mädchen. Roberto fühlte ein gefährliches Gemisch aus Gefühlen in sich brodeln. Wut, Mitleid, Beschützerinstinkt, Lust zu weinen, aufsteigende Gewalt, die man unter Kontrolle halten musste. Und verletzter Stolz. Desjenigen, der spät gekommen ist – man kommt immer spät –, aber nicht zu spät. Er sah die Gesichter der anderen Mädchen vor sich, der Mädchen in Mexiko, Jahre vorher, und dachte sich, dass er diese Rechnung nun endlich beglich.
    »Du heißt Ginevra, nicht wahr?«, sagte er, als sie so weit angezogen war, dass sie ihm antworten konnte.
    Das Mädchen brachte keinen Ton hervor und sah ihn verzweifelt an wie ein Tier in der Falle.
    »Zieh dich fertig an und warte drüben auf mich.«
    Sie gehorchte und verließ das Zimmer, ohne irgendjemanden oder irgendetwas anzusehen, die Augen auf ein Nichts gerichtet, in dem sich Monster tummelten, die keiner außer ihr sah.
    Der Typ, der vorher auf dem Bett gelegen hatte, begann zu schluchzen.
    »Ich wollte nichts Böses tun. Verzeiht mir, ich wollte nichts Böses tun. Lasst mich laufen, meine Mutter bringt mich um, wenn sie das erfährt. Verzeiht mir, verzeiht mir. Sie haben gesagt, dass alles ganz normal ist und dass sie es schon oft getan haben. Sie war einverstanden, sie bekam Geld dafür…«
    »Halt die Klappe, Idiot«, sagte der Muskulöse, der eindeutig der Anführer war und auch schon ein richtiger Krimineller.
    » Du hältst hier die Klappe«, mischte Roberto sich ein, »ich will kein Wort mehr hören. Wenn du noch einmal ohne meine Erlaubnis redest, reiß ich dir den Kopf ab. Verstanden?«
    Er hatte verstanden.
    Roberto durchsuchte die Jungen schnell und fand in den Hosentaschen des Anführers zwei weitere Handys, mehrere hundert Euro, einen Schlagstock aus Hartgummi und zwei Schlüsselbunde.
    »Ihr rührt euch nicht
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