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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung
Autoren: Gianrico Carofiglio
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telefonierte im Gehen mit seinem Handy. Sie sahen sich nicht um, aber trotzdem zog Roberto irgendwann sein Jackett aus, zog das Hemd aus der Hose und wurde ein anderer. Kurz darauf trafen die drei einen dünnen, unauffälligen Jungen mit Brille. Er schloss sich ihnen an, ohne ein Wort zu sagen.
    Die Beschattung dauerte sieben, acht Minuten, dann waren sie an einem Haustor angelangt. Der Anführer hatte die Schlüssel, öffnete, und alle verschwanden im Haus und zogen das Tor hinter sich zu.
    Zuallererst musste er auch hineinkommen, sagte sich Roberto. Die anderen Probleme würde er dann nach und nach lösen. Auf dem Klingelschild las er den Namen einer Anwaltskanzlei. Roberto drückte die Taste. Eine weibliche Stimme antwortete näselnd und unfreundlich durch die Gegensprechanlage.
    »Carabinieri. Öffnen Sie, wir müssen einen Bescheid zustellen.«
    Nach einem kurzen Zögern brummte der Türöffner wie eine Hummel, und das Tor ging auf. Roberto rannte zum Lift: Der Knopf war noch erleuchtet und der Motor in Betrieb. Der Lift war in den fünften, obersten Stock gefahren.
    Roberto befand, dass es ihn zu viel Zeit kosten würde, auf den Lift zu warten. Er lief die Treppen hoch, immer zwei Stufen auf einmal, und als er im fünften Stock angelangt war, pumpte sein Herz wie ein Kolben in einer Maschine. Auf dem Stockwerk gab es zwei Türen, von denen keine ein Namensschild trug. Während er versuchte, sein Keuchen unter Kontrolle zu bekommen, läutete er an der Klingel zu seiner Linken. Erst wenn jemand aufmachte – je nachdem, wer aufmachte –, würde er entscheiden, was er tat.
    Eine Minute verging. Roberto hatte das Gefühl, durch den Türspion beobachtet zu werden, und hörte dann die zittrige Stimme eines alten Mannes.
    »Wer ist da?«
    »Carabinieri, guten Tag. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen, würden Sie mir aufmachen?«
    »Ein Carabiniere? Und was wollen Sie von mir?«
    »Ich muss Ihnen nur ein paar Fragen stellen. Würden Sie mir bitte aufmachen?«
    »Woher weiß ich, dass Sie tatsächlich ein Carabiniere sind und kein Verbrecher?«
    »Ich zeige Ihnen meinen Dienstausweis. Können Sie ihn durch den Türspion sehen?«, fragte Roberto leicht entnervt.
    »Lassen Sie mich sehen«, sagte der Alte voller Misstrauen.
    Roberto hielt den Ausweis vor die Linse. Es vergingen ein paar Sekunden, dann hörte man aus dem Inneren das Geschiebe von Schlössern und Riegeln, und schließlich ging die Tür auf. Ein sehr alter Mann tauchte auf, glatzköpfig und mit ungewöhnlich glatter, rosiger Haut.
    Doch das Verblüffendste an dem Bild, das sich Roberto präsentierte, war nicht das Aussehen des Mannes.
    Es war der Revolver in seiner Hand.
    »Sie brauchen sich nicht zu fürchten. Wenn Sie wirklich ein Carabiniere sind, ist er überflüssig. Und wenn der Ausweis falsch ist, können Sie immer noch weglaufen. Das Foto sieht Ihnen nämlich nicht besonders ähnlich.«
    »Ist der geladen?«, fragte Roberto, der versuchte, sich von der Überraschung zu erholen.
    »Natürlich ist der geladen, was für eine Frage. Und wenn Sie ein echter Carabiniere sind, kann ich Ihnen versichern, dass ich einen regulären Waffenschein dafür besitze.«
    »Das bezweifle ich nicht. Der Ausweis ist echt, aber das Foto ist schon älter, ich habe mich ziemlich verändert in der Zwischenzeit. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie den Lauf der Pistole mehr nach unten halten könnten. Ich will nur wissen, wer in der Wohnung nebenan wohnt.«
    Der Alte sah ihn merkwürdig überrascht, aber befriedigt an. Der Pistolenlauf senkte sich, der Alte ging zur Seite und ließ Roberto eintreten.
    »Ach, endlich habt ihr es bemerkt. Ich habe so oft angerufen. Es hat ganz schön lange gedauert, aber jetzt habt ihr es endlich gemerkt.«
    Roberto betrat die Wohnung mit einem vorsichtigen Lächeln. Es war dunkel und roch nach Mottenpulver. Roberto hatte keine Ahnung, wovon der Alte sprach, aber er dachte, es wäre besser, sich das nicht anmerken zu lassen.
    »So läuft das eben. Wir haben leider sehr viel zu tun und schaffen es nur mit Mühe, allen Hinweisen nachzugehen. Können Sie mir sagen, wer da drüben wohnt?«
    Der alte Mann erklärte es ihm. Die Wohnung gehörte einem Anwalt, der dort nach der Trennung von seiner Frau eingezogen war. Dann hatte er eine neue Freundin gefunden und war zu ihr gezogen. Die Wohnung wurde von seinem Sohn genutzt, der ein Krimineller war, und von seinen Freunden, die ebenso kriminell waren. Sie waren oft da und drehten zu jeder Tages-
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