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In den W?ldern tiefer Nacht

In den W?ldern tiefer Nacht

Titel: In den W?ldern tiefer Nacht
Autoren: Amelia Atwater-Rhodes
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ich nicht dazu gezwungen werde, Risika, und du bist keine so große Bedrohung, daß ich es tun müßte. Also geh.«
      Er nimmt das Messer für einen Moment weg, und ich schlage auf sein Handgelenk und breche es. Das Messer fällt auf den Boden. Ich stoße ihn gegen die zerbrochenen Spiegel.
      Ich lache.
      Ich hebe das Messer auf, bevor er sich erholt hat, und attackiere seinen Geist, damit er seine Schutzschilde nicht hochfahren kann. Ich dringe in seinen Geist ein und zwinge ihn zu Boden.
      »Aubrey, ich habe dazugelernt. Eigentlich hast du mir diesen kleinen Trick beigebracht. Du glaubst, daß ich voller Angst davonlaufen werde, sobald du mich losgelassen hast. Aber, Aubrey«, sage ich und werfe ihm seine eigenen Worte entgegen, »so funktioniert die Welt nicht.«
      Jetzt fängt er wieder an zu kämpfen. Einen Moment lang war er überrascht, aber langsam steigt die Verzweiflung in ihm hoch. Er schlägt entlang der Kraftlinie zurück, mit der ich ihn angreife, und als ich einen Moment schwanke und mein Griff sich lockert, fahren seine Schutzmauern hoch.
      Wir wissen beide, daß der Kampf diesmal ernst ist. Aber Aubrey ist schwach, und ich kann seine Angst deutlich spüren. Er hat sein Messer in meiner Hand längst vergessen, jeder seiner Instinkte ist aufs Überleben konzentriert.
      Ich schlage zurück und zwinge ihn aus meinem Geist. Er stolpert leicht, aber dann wirft er mir all seine Kraft entgegen. Ich falle auf den Tisch, auf dem Fala sitzt, und spüre im selben Moment, wie sie nach mir schlägt. Einen Augenblick lang bin ich verwirrt, lasse das Messer fallen, und Aubrey nagelt mich auf den Boden.
      Er hat sein Messer zurückerobert.
      Die Szene ist mir vertraut. Ich erinnere mich daran, wie ich vor dreihundert Jahren auf dem Waldboden lag. Die Erinnerung löst pures Entsetzen in mir aus, und ich reagiere instinktiv. Ich tue, was ich damals nicht tun konnte.
      Ich werfe Aubrey ab – nicht weit, nur etwa einen halben Meter. Aber in dem Augenblick, in dem er aus dem Gleichgewicht gerät, verwandle ich mich in eine andere Form, in eine Gestalt, die ich in- und auswendig kenne und die stark genug ist, um gegen ihn zu kämpfen.
      Der Bengalische Tiger ist die größte Raubkatze der Welt. Aubrey kennt den Geist eines Tigers nicht, er weiß nichts von seinem animalischen Instinkt und findet keinen Punkt, um sich festzukrallen. Ich schlage nach ihm und reiße ihm die Brust auf. Die Wunden heilen zwar augenblicklich, aber ich habe ihn wieder umgerissen.
      Aubrey versucht, sich wegzurollen, aber ich drücke ihn auf den Boden. Ich bin jetzt körperlich stärker als er, und obwohl sein Geist stärker ist, habe ich genug Kraft, um ihn abzuwehren, solange ich in dieser Gestalt bin.
      Ich sehe in seine Augen und entdecke einen Anflug von Angst unter einer Schicht von Resignation. Er sieht beinahe so aus, als hätte er auf diesen Moment gewartet.
      Ich bereite mich auf den tödlichen Schlag vor. Aber er will nicht sterben.
      »Du hast dich bewiesen, Risika«, sagte er zu mir. »Vor vielen Jahren habe ich dir die Wahl zwischen Aufgabe und Kampf bis zum Tod gelassen. Bekomme ich diese Chance jetzt nicht?«
      Ich zögere. ›Aubrey, ich weiß, wie dieses Spiel funktioniert‹, antworte ich im Geiste, denn in dieser Gestalt kann ich nicht sprechen. ›Wenn ich dich jetzt gehen lasse, was soll dich davon abhalten, mir das Messer in den Rücken zu stoßen, sobald ich mich umgedreht habe?‹
      »Dieser Kampf muß nicht bis zum Tod führen, Risika«, beharrt Aubrey. Ich spüre seine Verzweiflung.
      ›Du hast mir damals eine Chance gegeben, weil ich schwach war, Aubrey. Ich bin stärker als du – wie wir hier bewiesen haben –, aber ich habe vor langer Zeit geschworen, daß ich mich für all das rächen würde, was du mir je genommen hast. Und du hast mir so viel genommen, der Preis ist unendlich hoch.‹
      Er legt den Kopf zurück und entblößt seine Kehle. Ich halte inne und warte auf seine Erklärung. ›Ich habe vor langer Zeit einen hohen Preis für dieses Leben bezahlt. Ich will noch nicht, daß es aufhört‹, sagt er in meinem Kopf. ›Ich biete dir mein Blut als Ausgleich für das, welches ich vergossen habe.‹
      Er meint es ernst. Dieser Idiot würde wirklich alles tun, um zu überleben. Wenn ich sein Blut tränke, würde ich viel stärker sein als er, und ich würde seinen Geist jederzeit vollständig erkennen. Es gäbe für ihn keine Möglichkeit mehr, seine Gedanken vor mir zu
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