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In den W?ldern tiefer Nacht

In den W?ldern tiefer Nacht

Titel: In den W?ldern tiefer Nacht
Autoren: Amelia Atwater-Rhodes
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aber schon von dieser einfachen Bewegung wurde mir ganz schwindlig.
      Ich hatte seit Tagen nichts getrunken.
      Mein Durst war so stark, und ihr Blut schien das süßeste zu sein, daß ich je getrunken hatte. Ich ließ es über meine Zunge gleiten und genoß den Geschmack, wohl wissend, daß ich das nicht tun sollte, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht beherrschen.
      Ich hörte einen heiseren Schrei, mein Kopf flog hoch. Ich sah meinen Vater. In seinem Blick lag kein Erkennen.
      Ich ließ Katherine fallen und zwang mich, sie endlich loszulassen. Ich hatte nicht genug von ihr getrunken, um sie zu ernsthaft zu verletzen; sie würde überleben.
      Ich verschwand in die Nacht.
     
 
     

18
 
     
    Heute
     
     
 
      Seit dieser Nacht trinke ich regelmäßig, damit ich nie wieder die Beherrschung verlieren muß. Aubrey hat sein Ziel wie immer erreicht.
      Meine Wut auf Aubrey verwandelt sich in Groll gegen mich selbst. Damals wie heute hat er meine Gefühle gegen mich benutzt.
      Warum läßt du zu, daß er dich so in Rage bringt? frage ich mich. Du weißt genau, daß er es absichtlich macht. Warum stört es dich immer wieder?
      »Feigling«, sage ich laut zu mir. »Das ist alles – du bist ein Feigling. Du trägst diese Narbe seit dreihundert Jahren, und du hast nie etwas unternommen. Du kannst dich nicht einmal lange genug beherrschen, um vernünftig zu denken!«
      Mir wird klar, daß ich mich trotz all meiner Worte immer noch an einen Teil meiner Menschlichkeit geklammert habe.
      Seit dreihundert Jahren gehe ich ihm aus dem Weg und weigere mich zu kämpfen. Als ich noch ein Mensch war, wurde ich von meinem Vater und der Kirche beherrscht. Jetzt beherrscht Aubrey mich, und ich wehre mich nicht dagegen, weil ich die Konsequenzen fürchte. Ich würde möglicherweise sterben, aber das war nie meine eigentliche Angst. Wenn ich ihn zum Kampf herausfordern würde, wäre das nur ein Zeichen dafür, daß ich genau das Monster bin, von dem ich so lange vorgegeben habe, es nicht zu sein – und davor fürchte ich mich.
      Vor wem will ich mich eigentlich rechtfertigen? Alexander war früher mein Glaube. Er klammerte sich an seine Moralvorstellungen, selbst als er glaubte, daß er verdammt wäre, und ich habe dasselbe versucht. Warum eigentlich? Alexander ist tot, und niemand sonst interessiert sich dafür.
      Warum also? Wozu die ganze Mühe? frage ich mich. Du bist seit fast dreihundert Jahren kein Mensch mehr, hör endlich auf, so zu tun, als wärst du einer.
      Was hast du schon zu verlieren?
      Ich ziehe das schwarze, ärmellose T-Shirt aus und ein goldenes an, das über dem Bund der schwarzen Jeans einen Streifen nackter Haut zeigt. Meine Stimmung wechselt wie die Schatten in einer Kerzenflamme, und jetzt bin ich verspielt. Ich zeichne die wie ein auf der Seite liegendes Glas geformte Rune des Spiels in die Luft, an die ich mich von irgendwo aus der fernen Vergangenheit erinnere: Perthro, für diejenigen, die willens sind, alles auf eine Karte zu setzen.
      Ich bin in einer weit zerstörerischeren, tollkühneren Stimmung als je zuvor. Mir fallen Geschichten ein, die man sich über Jager erzählt – wie er zur Zeit der Griechen schamlos mit den Jungfrauen von Hestia geflirtet hat, wie er um Mitternacht mit den Feen bei Vollmond getanzt hat und wie er die Seance einer Gruppe moderner Geisterbeschwörer aufgepeppt hat, indem er die gerufenen Elemente tatsächlich erscheinen ließ. Ich bin genau in dieser Stimmung. Ich habe nichts mehr zu verlieren, und ich will endlich etwas verändern. Etwas zerstören.
      Ich drehe den Spiegel von mir weg. Ich weiß, was ich sehen würde, wenn ich hineinblickte.
     
 
      Ich bringe mich in eine kleine Stadt im Norden von New York, die tief im Wald verborgen liegt, jenseits der menschlichen Blicke, eine Stadt, die Neuchaos heißt. Neu chaos – das Chaos, das Ather mir vor dreihundert Jahren zeigte, wurde wenige Jahre, nachdem ich dort war, von einem Feuer fast vollständig zerstört.
      Ich war schon einige Male in Neuchaos, aber ich bin die einzige meiner Blutlinie, die nicht innerhalb ihrer Grenzen schläft. Aubrey hat sich hinter den Mauern von Neuchaos sein Zuhause eingerichtet, deswegen habe ich meines immer woanders gesucht.
      Auch mit den neuen Hotels, die die Sterblichen beherbergen, mit den neuen Bars, den neuen Fitneßcentern und den gepflasterten Straßen ist Neuchaos immer noch eine unsichtbare Stadt. Der Barkeeper fragt niemanden nach
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