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In den Ruinen von Paris

In den Ruinen von Paris

Titel: In den Ruinen von Paris
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sich rasch zu einer knapp eineinhalb Meter hohen Tür weitete, und Jean trat gebückt hindurch. Die Tür schloß sich hinter ihm so lautlos, wie sie sich geöffnet hatte, und fast im gleichen Moment glomm unter der Decke ein gelbes, mildes Licht auf, das den kleinen Raum in eine sonderbare Art von Helligkeit tauchte. Wie immer, wenn Jean hierherkam, blieb er einen Moment lang stehen und genoß einen Luxus, den die anderen Bewohner der Freien Zone sich wahrscheinlich nicht einmal vorstellen konnten - so wenig wie er es gekonnt hatte, ehe er das erste Mal hierher kam: Er stand einfach da und sah. Dieses Licht war völlig anders als der türkisgrüne Schein des Himmels, unter dem Jean geboren und aufgewachsen war. Und bei seinem ersten Besuch hatte es ihn erschreckt, ja, fast in Panik versetzt. Aber dieses Gefühl war rasch vergangen und hatte dem einer sonderbaren Vertrautheit Platz gemacht. Heute war es so, daß er diesen gelben Schein als angenehmer empfand als das Licht des Tages. Sein Blick tastete über das Durcheinander von Skalen und Zeigern, von verschiedenfarbigen Lichtern, von winzigen Bildschirmen - und verharrte auf einer kleinen, roten Lampe, die in hektischem Rhythmus flackerte. Jean runzelte die Stirn. Er kannte die Bedeutung dieses Lichtes. Jemand hatte versucht, sich Zutritt zu verschaffen. Er setzte sich in einen der drei gepolsterten Schalensitze hinter dem Kommandopult, streckte die Hand aus und drückte rasch hintereinander drei Tasten. Das Licht unter der Decke wurde schwächer, ohne völlig zu verlöschen, und dicht neben seiner linken Hand glomm ein rechteckiger, kaum handgroßer Monitor auf. Jean hörte ein helles Summen, als das Videoband zurückfuhr, dann machten die flimmernden Streifen auf dem Bildschirm einer dreidimensionalen, farbigen Abbildung des Bereiches vor der Festungstür Platz. Er atmete erleichtert auf, als er sah, daß nur ein Tier versucht hatte einzudringen: ein grüngraues, fast mannsgroßes Etwas, das wie eine mißlungene Kreuzung zwischen einer Krabbe und einer Kakerlake aussah und dessen schimmernder, schwarzer Hornpanzer es unzweifelhaft als eine Kreatur von Moron auswies. Seine riesigen Augen schienen Jean über den Monitor hinweg haßerfüllt anzustarren. Jean lächelte nervös. Was er sah, war nur eine Aufzeichnung, Tage, vielleicht sogar Wochen alt, und trotzdem mußte er sich beherrschen, um nicht instinktiv den Blick zur Tür zu wenden und sich davon zu überzeugen, daß das Ding den handstarken Stahl nicht einschlug und hereingekrochen kam. Die Aufzeichnung endete, als die Krabberlake ihre sinnlosen Bemühungen, den Panzerstahl einzuschlagen, endlich aufgab und sich umwandte, um mit grotesken, hopsenden Schritten davonzuschleichen. Jean wollte den Bildschirm schon wieder abschalten, aber in diesem Moment stabilisierten sich die grau-weißen Streifen darauf erneut zu einem Bild. Und er sah aufmerksamer wieder hin.
    Die Kamera mußte sich wenige Augenblicke nach dem Ende der ersten Aufzeichnung automatisch wieder eingeschaltet haben, und als er den kleinen Bildschirm genauer betrachtete, begriff er auch, warum: Das Insektenwesen hatte sich gute dreißig oder vierzig Schritte von der Festung entfernt und kroch jetzt mit grotesken Bewegungen über die Ebene, die sie vom Rand der Insel trennte. Aber auf dem Bildschirm war plötzlich noch eine zweite Bewegung - ein flüchtiges, silbernes Blitzen am Himmel, fast am Rande des Aufnahmebereiches der Kamera. Es kam rasend schnell näher, verschwand für einen Moment und kehrte dann etwas langsamer zurück - und dann stach ein dünner, unerträglich greller Lichtblitz aus dem Himmel und spießte die riesige Insektenkreatur auf. Jean schloß geblendet die Augen, als der Bildschirm für einen Moment in strahlender Weißglut aufzulodern schien. Als er die Lider wieder hob, war die Kreatur verschwunden. Dort, wo sie eine Sekunde zuvor noch gehockt hatte, glühte der Boden in einem dumpf-dunklen, düsteren Rot. Zwei, drei Sekunden lang blieb das Bild statisch, dann erlosch der Monitor endgültig, und er hörte ein leises Klicken. Der Gleiter mußte weitergeflogen sein, und seither war nichts mehr geschehen, was eine Aufnahme wert gewesen wäre. Aber Jean blickte noch eine ganze Weile versonnen auf den kleinen, wieder grau gewordenen Bildschirm. Der Zwischenfall hatte ihm wieder einmal deutlich gezeigt, wie dünn das Eis war, auf dem er sich bewegte. Niemand wußte von der Existenz dieser Festung, weder in der Freien Zone
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