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In den Ruinen von Paris

In den Ruinen von Paris

Titel: In den Ruinen von Paris
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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um besser zielen zu können; eine Haltung, die er wahrscheinlich an ihr beobachtet hatte. Der Ausdruck auf seinem faltigen Zwergengesicht verriet puren Haß. Und während er die Waffe hob und gleichzeitig einen Schritt beiseite trat, um sie selbst nicht zu gefährden und freies Schußfeld auf den Megamann zu haben, ging eine lautlose, erschreckende Veränderung mit ihm vor: Er war noch immer ein Zwerg mit einem viel zu großen Kopf, dürren Händen und einem Gesicht, das direkt aus einem Comic hätte stammen können. Aber aus dem gutmütigen, stets zu Scherzen aufgelegten Gnom war plötzlich ein häßlicher Troll geworden, der nur einen Wunsch hatte: zu töten. Charity trat mit einem blitzartigen Schritt zwischen ihn und den gestürzten Megakrieger. Gurk riß mit einem Fluch die Waffe hoch und funkelte sie an. »Was soll das?« schnappte er. »Bist du verrückt geworden?« Statt zu antworten, entriß ihm Charity kurzerhand die Waffe. Gurks Augen weiteten sich, und für einen winzigen Moment loderte dieser böse, durch nichts zu besänftigende Haß noch einmal in seinem Blick auf; diesmal galt er niemand anderem als ihr. »Was soll das?« wiederholte er krächzend. »Wir müssen ihn töten! Wenn er wieder zu sich kommt, wird er uns alle umbringen!« Charity sah über die Schulter zu dem gestürzten Megamann zurück. Er regte sich nicht mehr, aber unter seinem Körper bildete sich allmählich eine dunkle, größer werdende Lache. Und trotzdem wirkte er noch gefährlich. Gurk hob fast flehend die Hände. »Töte ihn!« sagte er verzweifelt. »Oder gib mir die Waffe und laß mich es tun, wenn du es nicht kannst! Bring ihn um, Charity, oder er wird uns umbringen!« Charity sah den Zwerg eine Sekunde lang kopfschüttelnd an, dann drehte sie sich herum, tauschte einen raschen Blick mit Net, die sich auf die Knie und einen Arm erhoben hatte, und warf ihr die Waffe zu. Wahrscheinlich begriff Net in diesem Moment nicht einmal, was sie damit sollte; aber sie fing den Strahler ganz instinktiv auf und richtete ihn auf den reglos daliegenden Körper des Verfolgers. »Paß auf ihn auf«, sagte Charity. »Wenn er Dummheiten macht, dann erschieß ihn.« Net nickte verwirrt, und in Gurks Augen erschien ein fragender, fast lauernder Ausdruck, als wäre er nicht ganz sicher, wen Charity mit diesem Befehl gemeint hatte. Charity lief zur Tür. Mit einem einzigen raschen Blick überzeugte sie sich davon, daß die Shai-Priesterin, die die Ameise zu Boden gestoßen hatte, im Moment keine Gefahr darstellte: Sie lag gegen die Wand gelehnt und war bei Bewußtsein, aber ihr Gesicht war erstarrt und der Blick ihrer weit aufgerissenen, glasigen Augen leer, Charity bezweifelte, daß sie überhaupt begriffen hatte, was hier vorging. Sie gab Net mit einem Blick zu verstehen, auch auf sie zu achten, und ging zu Skudder hinüber. Der Hopi-Indianer erwachte stöhnend, als Charity sich über ihn beugte. Er hatte keine sichtbaren Verletzungen davongetragen; nur aus einer dünnen Platzwunde über seinem linken Auge sickerte ein wenig Blut. Aber Charity hatte den fürchterlichen Laut nicht vergessen, mit dem er gegen die Ameise geprallt war. Hastig ließ sie sich auf die Knie herabsinken, drückte Skudder mit sanfter Gewalt zurück auf den Boden und tastete seinen Körper ab. Skudder verzog ein paarmal schmerzhaft das Gesicht, aber sie fühlte keine Brüche oder schwerere Verletzungen unter dem zerschrammten Leder seiner Shark-Montur. »Kannst du die Beine bewegen?« fragte sie. Skudder nickte, zog die Knie ein wenig an den Körper und streckte die Beine rasch wieder aus. Sein Gesicht verzerrte sich. »Ja«, stöhnte er, »aber es tut verdammt weh.« Charity lächelte. »Ich dachte immer, ein Indianer spürt keinen Schmerz?« fragte sie. Skudder stöhnte auf, wälzte sich mühsam auf die Seite und versuchte, sich taumelnd auf die Knie und einen Arm hochzustemmen. »Das ist mir neu«, preßte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Aber ich werde es mir für das nächste Mal merken.« Charity half Skudder dabei, sich mühsam zu erheben, und trat einen halben Schritt zurück, wobei sie ihn aber aufmerksam im Auge behielt. Skudder schloß noch einmal die Augen. Aber sie konnte direkt sehen, wie er sich erholte. Abgesehen von dem Megamann, der vermutlich kein Mensch war, war Skudder der stärkste Mann, dem sie jemals begegnet war. »Alles okay?« fragte sie noch einmal. Skudder öffnete die Augen, blickte sie einen Moment
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