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In den Klauen des Bösen

In den Klauen des Bösen

Titel: In den Klauen des Bösen
Autoren: John Saul
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einem Monat, seit ihr morgens immer übel wurde. Sie hatte gegen die Übelkeit angekämpft in ihrer Angst, dass die Eltern ahnen könnten, was mit ihr geschehen war.
    Als im letzten Monat ihre Periode ausgeblieben war, hatte Kelly einen Plan gefasst.
    Wie sie auf diesen Plan gekommen war, wusste sie nicht. Doch jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Sie war im Haus allein, und sie war fest entschlossen. Sie hatte das Gefühl, schon immer gewusst zu haben dass es mit ihr so enden würde - dass sie eines Nachts, wenn sie sich selbst nicht mehr ertragen konnte, allem ein Ende setzen würde.
    Sie verließ den Raum, ohne das Licht zu löschen, und betrat das kleine Bad, das ihr Schlafzimmer von dem der Eltern trennte. Einige Minuten lang stand sie im Finstern und betrachtete sich im Spiegel. Das schwache Licht, das aus dem Gang hereindrang, fiel nur auf die eine Hälfte ihres Gesichts. Sie konnte eins ihrer Augen erkennen, die, wie ihre Mutter immer behauptete, grün waren, obwohl sie genau wusste, dass sie hellbraun waren. Das Auge starrte aus dem Spiegel zurück, und Kelly hatte plötzlich die merkwürdige Empfindung, dass sie gar nicht die eigene Spiegelung sah. Das da im Spiegel war jemand anderer, ein Mädchen, das sie kaum kannte.
    Eine Fremde.
    Eine Fremde, deren Züge älter wirkten als ihre eigenen sechzehn Jahre, deren Haut die Fahlheit des Alters angenommen hatte.
    Sie sah ein lebloses Gesicht ohne Freude und Erwartung der Jugend, das Gesicht der Waise, die sie in Wahrheit war, was immer ihre Adoptiveltern ihr auch weismachen wollten.
    Und dann schob sich ein anderes Bild über ihre abgedunkelte Schulter.
    Es war der Mann, den Kelly schon allzuoft im Traum erkannt hatte, im Wachzustand jedoch immer nur ganz flüchtig und verschwommen. Jetzt sah sie ihn klar und deutlich.
    Er war alt, die Haut hing lose, die Augen saßen tief in den Höhlen. Er lächelte ihr zu, mit zurückgezogenen Lippen, die gelbliche Zähne entblößten.
    Kelly hielt den Atem an und drehte sich herum.
    Außer ihr war niemand im Zimmer.
    Sie streckte die Hand aus, machte Licht, und sofort war die Trübseligkeit vorbei. Sie stand einen Moment still, mit pochendem Herzen, doch dann ließ der wilde Pulsschlag nach. Sie brachte ihre Angst mit dem gleichen entschlossenen Willen unter Kontrolle, mit dem sie in den letzten Jahren ihre Verrücktheit beherrscht hatte, und wandte sich wieder dem Spiegel zu.
    Er war immer noch da, gierte sie an, das alte, hässliche Gesicht war verzerrt, die krallenartigen Finger griffen ihr an die Kehle.
    »Nein!« schrie Kelly. »Aufhören!«
    Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie schlug in den Spiegel, der zersprang. Das Glas fiel zu Boden, doch eine schwertförmige, rasiermesserscharfe Scherbe blieb im Rahmen stecken, in der Kelly noch immer das Gesicht ihres Peinigers erkannte, der sie verspottete, auslachte, nach ihr griff.
    Ein neuer, wortloser Schrei kam in ihr hoch. Ein letzter Schrei der Angst hallte durch das Haus, als Kelly das Bruchstück aus dem Rahmen riß.
    Sie packte es mit beiden Händen, betrachtete es, als sei sie hypnotisiert, hob es empor. Jetzt war die Zeit gekommen. Mit einer raschen Bewegung stieß sie sich die spitze Scherbe in den Leib, weil sie wild entschlossen war, das Leben des Ungeheuers zu beenden, das in ihr wuchs.
    Sein Leben und das ihre.
     
    »Also, das war echt Zeitverschwendung!« seufzte Mary Anderson, als sie sich in den Beifahrersitz des fünf Jahre alten Chryslers zwängte, und bereute es sofort - es war auf die Hitze dieser Nacht in Georgia zurückzuführen, darauf, dass sie sich fünf Stunden lang Mühe gegeben hatte, nett zu Menschen zu sein, die sie weder gut kannte noch mochte. Aber es war ihr nun einmal herausgerutscht, und bevor sie eine Entschuldigung hervorbringen konnte, legte Ted los.
    »Das hätte wirklich nicht sein müssen, wenn du dich bloß um ein bißchen Höflichkeit gegenüber diesen Menschen bemüht hättest!« Er ließ den Motor an, legte den Gang ein und hörte mit Befriedigung das Quietschen der Reifen, als er den Wagen auf die Straßen von Atlanta jagte. Er warf Mary einen Blick zu. Er wartete nur auf einen Anlaß, die Tirade fortzusetzen, die ihm seit einer Stunde auf dem Herzen lag - seit Bob Creighton ihm nämlich erklärt hatte, er habe trotz seiner persönlichen Hochachtung für Ted bei seiner Baufirma für ihn keine Stelle. >Persönliche Hochachtung<, wie? Verdammter Quatsch - Bob würde dem eigenen Schwager die Stelle des Bau-Aufsehers
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