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In den Klauen des Bösen

In den Klauen des Bösen

Titel: In den Klauen des Bösen
Autoren: John Saul
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auf, wurde an eine Kerze gehalten. Ein zweites. Ein drittes. Die Dochte brannten hell. Und dann drehte die Gestalt sich um, und eine Welle des Schreckens flutete über Amelie.
    Es war der Schwarze Mann, der im Kerzenlicht schweigend vor einem Altar stand. Er war ganz in Schwarz gekleidet, sein Gesicht verhüllt.
    Seine Stimme trug laut und vernehmlich über die stillen Wasser. »Gebt mir, was mein ist!«
    Ein Mann und eine Frau traten vor. Amelie stockte der Atem, als das Licht der Altarkerzen auf ihre Gesichter fiel. Sie hielt die Hand vor den Mund, um sich nicht zu verraten. Sie kannte die zwei, hatte sie ihr Leben lang gekannt: Quint und Tammy-Jo Millard.
    Die beiden hatten erst vor wenigen Monaten geheiratet. Am Abend vor ihrer Hochzeit war Amelie bei Tammy-Jo gewesen, so wie umgekehrt Tammy-Jo Amelie Gesellschaft geleistet hatte, bevor sie von George zum Traualtar geführt worden war. Und gestern, zur Geburt des Babys, war Amelie von der Hütte, die sie mit George teilte, im Kanu die eine Meile zur Hütte gefahren, wo Tammy-Jo mit Quint lebte, um Tammy-Jos Hand zu halten und ihr während der Wehen mit einem feuchten Tuch die Stirn abzureiben.
    Tammy-Jos Wehen hatten Amelie erschreckt, doch nicht halb so sehr wie der Anblick von Tammy-Jo, die jetzt mit dem Baby an der entblößten Brust neben Quint vor dem Schwarzen Mann stand.
    Der Schwarze Mann streckte die Arme aus.
    »Gebt mir, was mein ist!« Seine Stimme scholl über das Wasser. Die Worte trafen Amelie wie Hammerschläge.
    Schweigend übergab Tammy-Jo ihr Neugeborenes in die Hände des Schwarzen Mannes, der sich umdrehte und es auf den Altar legte wie ein Opfer und die Decke löste, in die es gewickelt war. Der Schein der Kerzen fiel auf den unbedeckten, blassen kleinen Leib.
    Aus den Falten seines Gewandes zog der Schwarze Mann einen Gegenstand, den Amelie erst erkennen konnte, als er das Licht zurückwarf - ein Messer.
    »Wem gehört dieses Kind?« fragte der Schwarze Mann und hob die Klinge über dem nackten Baby.
    »Es gehört Euch«, sagte Tammy-Jo, deren Blick auf dem Schwarzen Mann ruhte, mit tonloser Stimme, und die junge Frau im Kanu erschauerte, weil sie sein kaltes Lächeln fühlen konnte, obwohl sein Gesicht verborgen war.
    Sie wollte sich wegdrehen - und vermochte es nicht. Sie war von dem Mann im schwarzen Gewand wie gebannt, der das Messer über dem Kind auf dem Altar hielt. Die Kerzen flackerten. Die Spitze der Waffe funkelte im Licht.
    Sie begann sich zu senken.
    Sie schwebte über dem Kind.
    Es schrie kurz auf, als die gleißende Klinge ihm in die Brust drang.
    Unwillkürlich stieg ein Laut hoch in Amelies Kehle, leise, ein Schreckensruf, den sie fast so schnell wieder unterdrückte, wie der Schwarze Mann das Schreien des Kindes beendet hatte.
    Der Schwarze Mann schaute hoch, blickte über Feuer und Wasser herüber, als ob seine unerkennbaren Augen sie umfassten und er sich ihre Erscheinung ins Gedächtnis prägte.
    Mein Baby! dachte sie. Er will auch mein Baby.
    Lautlos tauchte sie das Paddel ins Wasser und stieß vom Ufer ab, doch die Blicke des Schwarzen Mannes schienen ihr zu folgen und sie einzufangen.
    Nein, nicht sie - das Baby in ihr!
    Sie wendete das Kanu und tauchte bereits in die vermeintlich schützende Dunkelheit ein, als sie die Stimme des Schwarzen Mannes ein letztes Mal vernahm.
    »George Coulton«, fragte die dunkle Stimme, »wann wirst du mir bringen, was mein ist?«
    In der folgenden Stille hörte Amelie ihren Mann antworten, mit klarer, monotoner Stimme: »In der Nacht der Geburt werd ich’s bringen.«

1
     
    Kelly Anderson konnte ihn fühlen. Sie spürte, dass er sie suchte, ihr näher kam.
    Seit Kelly sich erinnern konnte, war er da. Schon als kleines Baby, lange bevor sie laufen oder sprechen konnte, hatte sie ihn erblickt.
    In ihren Träumen war sein Gesicht mit den schrecklichen, zum bösartigen Grinsen verzerrten Zügen aus dem Dunkel des Schlafs auf sie zugekommen; seine Finger, wie Krallen eines Raubvogels, hatten nach ihr gegriffen. Sie war schreiend aufgewacht; ihre Mutter war herbeigestürzt, hatte sie aus dem Körbchen gehoben, gewiegt und ihr beruhigend zugeflüstert, alles sei gut.
    Es waren die ersten Wörter, die sie gelernt hatte.
    Alles ist gut.
    Jetzt war sie sechzehn Jahre alt und konnte sich noch genau erinnern, wie sie das Wort damals ausgesprochen hatte.
    Gut.
    Aber sie hatte es nie ganz geglaubt, damals nicht, als ihr die Mutter zuflüsterte, dass sie in Sicherheit sei und nur einen bösen
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