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Implantiert

Implantiert

Titel: Implantiert
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Verwirrung und Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Ihr seidiges Haar klebte auf ihrer von Schweiß und Tränen bedeckten Haut.
    »Jian, alles ist gut.«

    Schon seit zwei Jahren kümmerte er sich um diese Frau und versuchte, ihr zu helfen, denn erstens war das seine Aufgabe und zweitens war sie eine gute Freundin für ihn geworden. Für Jian waren manche Tage besser als andere. Die schlechten Tage taten Colding weh; dann fühlte er sich unfähig und machtlos. Aber dann rief er sich ins Bewusstsein, dass sie noch am Leben war, und dass das auch schon etwas war. Sie hatte zweimal versucht, sich umzubringen; und beide Male war er es gewesen, der diese Versuche unterbunden hatte.
    Jian blinzelte noch einmal, vielleicht versuchte sie, durch ihr Haar hindurch zu sehen. Dann drückte sie sich in einer heftigen Umarmung an Colding. Er erwiderte ihre Umarmung und bemühte sich, ihre Angst zu vertreiben, indem er ihr den Rücken tätschelte, als sei sie seine Tochter und nicht zwanzig Jahre älter als er.
    »Ich habe wieder geträumt, Mister Colding.«
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte Colding. Er spürte ihre Tränen an seinem Hals und auf seiner Schulter. Jian nannte jeden Mann Mister, auch wenn es bei ihrem starken Akzent wie mii-sta klang. Er hatte sie nie dazu bringen können, ihn bei seinem Vornamen zu nennen.
    »Es ist alles in Ordnung, Jian. Versuchen Sie einfach, noch ein bisschen zu schlafen.«
    Sie drückte sich weg von ihm und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. »Nein«, sagte sie. »Kein Schlaf.«
    »Jian, ich bitte Sie. Versuchen Sie’s. Ich weiß, dass Sie in den letzten drei Tagen nicht mehr als sechs Stunden geschlafen haben.«
    »Nein.«
    »Wollen Sie es nicht doch versuchen?«
    »Nein!« Sie drehte sich zur Seite und schlüpfte unter der
Decke hervor. Ihre Bewegungen waren erstaunlich graziös für eine Frau, die bei einer Größe von einem Meter achtundsechzig 225 Pfund wog. Colding erkannte zu spät, dass sie keine Pyjamahose trug. Verlegen drehte er sich um, doch Jian schien es nicht einmal zu bemerken.
    »Wenn ich wach bin, kann ich ein paar Arbeiten erledigen«, sagte sie. »Wir machen heute Morgen einen weiteren Immunreaktionstest.«
    Colding rieb sich die Augen – unter anderem deshalb, weil er nicht den Eindruck erwecken wollte, als bemühe er sich, nicht hinzusehen. Er starrte auf das vertraute Schachbrett, das auf ihrer Frisierkommode stand. Sie hatte ihn siebenundneunzigmal hintereinander besiegt, aber eigentlich hatte er aufgehört mitzuzählen.
    Gleich neben dem Schachbrett stand ihre Medizin. Ein durchsichtiger Streifen an der Seite des Fläschchens zeigte ihm, wie viel Flüssigkeit sich noch darin befand. Auf dem Streifen standen in fein säuberlichen schwarzen Buchstaben die Daten in absteigender Reihenfolge: ganz oben der 1. November, ganz unten der 30. Die Flüssigkeit reichte bis hinauf zum 7. November.
    »Ja, ich nehme meine Medizin«, sagte Jian. »Ich mag ja verrückt sein, aber ich bin nicht dumm.«
    Aber nahm sie ihre Medizin tatsächlich? Ihr Zustand hatte sich immer weiter verschlechtert, ihre Alpträume kamen immer häufiger, und sie wurden intensiver. »Sie sollten nicht so von sich sprechen, Jian. Ich glaube nicht, dass Sie verrückt sind.«
    »Sie glauben auch nicht, dass Sie hübsch sind«, sagte Jian. »Das zeigt, dass Ihr Urteil höchst fragwürdig ist.«
    Das Knirschen des Reißverschlusses ihrer Hose verriet ihm, das er wieder in ihre Richtung sehen konnte. Sie
streifte gerade ein Hawaiihemd – limonengrün mit gelben Azaleen – über ihr verschwitztes weißes T-Shirt. Ihr dichtes schwarzes Haar hing ihr immer noch feucht ins Gesicht, doch selbst durch das Haar hindurch konnte er die dunklen Ringe unter ihren blutunterlaufenen, gehetzt wirkenden Augen erkennen.
    Sie ging zu ihrem bizarren Computertisch, setzte sich und schaltete die Geräte ein. Sieben Flachbildschirme erwachten zum Leben und hüllten ihr Gesicht in ein weißliches Leuchten. Drei der Monitore befanden sich auf der Höhe des Tisches, die beiden äußeren waren leicht nach innen abgewinkelt. Darüber hingen vier weitere Monitore, die leicht nach vorn und nach innen geneigt waren, so dass sie ihren Kopf hin und her drehen musste, wenn sie alle im Blick behalten wollte.
    Colding stellte das Medizinfläschchen zurück und trat an Jians Computertisch. Alle sieben Bildschirme zeigten abrollende Folgen der Buchstaben A, G, T und C. Manchmal hatten die einzelnen Buchstaben verschiedene Farben,
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