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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Robert Harris
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mich verbürge. Wie im Dämmerzustand verließ er den Hafen, ging bergauf durch Puteoli und hinaus auf die Überlandstraße, ohne sich noch einmal umzublicken. Ich hechelte hinter ihm her, wobei ich so viel Gepäck mitschleppte, wie ich konnte. Schritt er anfangs noch langsam und voller Gedanken dahin, so ging er nach und nach immer schneller, bis er schließlich mit so großen Schritten Pachtung Rom marschierte, dass ich kaum mithalten konnte.
    Und damit endet meine erste Rolle und beginnt gleichzeitig die eigentliche Geschichte des Marcus Tullius Cicero.

KAPITEL II
     
    Der Tag, der sich als Wendepunkt erweisen sollte, begann wie jeder andere damit, dass Cicero eine Stunde vor Tagesanbruch als Erster im Haus aufstand. Ich lauschte den dumpfen Schritten auf den Holzbohlen über mir, während er die Übungen absolvierte, die er bei unserem Aufenthalt in Rhodos vor sechs Jahren gelernt hatte. Ich blieb noch kurz im Dunkeln liegen, rollte dann meine Strohmatte zusammen und wusch mir das Gesicht. Es war der erste November, ein kalter Tag.
    Cicero wohnte auf dem Esquilin in einem bescheidenen zweistöckigen Haus, das zwischen einem Tempel und einem Wohnblock erbaut worden war. Wenn man sich allerdings die Mühe machte, aufs Dach zu steigen, dann wurde man mit einem herrlichen Ausblick belohnt, der in westlicher Richtung über das dunstige Tal bis zu den großen Tempeln auf dem etwa eine halbe Meile entfernten Kapitolshügel reichte. Das Haus gehörte eigentlich seinem Vater, aber da der alte Herr nicht mehr der Gesündeste war und nur noch selten vom Land in die Stadt kam, hatte es Cicero ganz für sich - zusammen mit Terentia, seiner fünfjährigen Tochter Tullia und zwölf Sklaven: mich, den mir unterstellten Schreibern Sositheus und Laurea, dem Hausverwalter Eros, Terentias geschäftlichem Berater und Privatsekretär Philotimus, zwei Hausmädchen, einem Kindermädchen, einem Koch, einem Diener und einem Türwächter. Dann gab es da noch einen alten blinden Philosophen, den Stoiker Diodotos, der sich gelegentlich aus seinem Zimmer heraustastete und Cicero, wenn es diesem nach einem Disput verlangte, beim Abendessen Gesellschaft leistete. Macht insgesamt fünfzehn Haushaltsmitglieder. Terentia beklagte sich zwar ständig über die beengten Verhältnisse, aber Cicero wollte nicht umziehen, weil er zu jener Zeit immer noch ganz in seiner »Mann-des-Volkes-Rolle« aufging und das Haus perfekt zu seinem Ruf passte.
    Wie an jedem Tag, so streifte ich mir auch an jenem Morgen als Erstes eine Kordel über mein linkes Handgelenk, an der ein kleines, von mir selbst entworfenes Notizbuch hing. Es bestand nicht aus den üblichen ein oder zwei, sondern aus vier Wachstafeln in Buchenholzrahmen, die sehr dünn und auf beiden Seiten beschreibbar waren und über Scharniere verfügten, sodass ich das Notizbuch auf- und zuklappen konnte. So konnte ich während eines Diktats weitaus mehr Text aufnehmen als ein durchschnittlicher Sekretär, dennoch steckte ich mir angesichts Ciceros gewaltigen Redeflusses immer noch ein paar Notizbücher zur Reserve ein. Dann zog ich den Vorhang des Fensters in meinem winzigen Raum auf, ging durch den Innenhof ins Tablinum, zündete die Lampen an und überprüfte, ob alles an seinem Platz war. Auf dem einzigen Möbelstück im Raum, einer Anrichte, stand eine Schale mit Kichererbsen. (Ciceros Name war vom Wort cicer abgeleitet, was Kichererbse bedeutet, und da Cicero glaubte, dass in der Politik ein ungewöhnlicher Name von Vorteil sei, achtete er sehr darauf, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken.) Wenn alles zu meiner Zufriedenheit war, ging ich durch das Atrium in den Empfangsraum, wo der Türwächter auf mich wartete. Seine Hand lag schon auf dem großen eisernen Türriegel. Mit einem Blick durch ein schmales Fenster überprüfte ich, ob es schon hell genug war. Wenn ja, gab ich dem Türwächter mit einem Nicken das Zeichen zum Öffnen.
    Draußen in der Kälte wartete schon die übliche Menge an Unglücksraben und Verzweifelten. Während sie eintraten, notierte ich mir die Namen. Die meisten waren mir bekannt. Fremde fragte ich nach dem Namen. Die üblichen Versager schickte ich wieder weg. Die unumstößliche Anweisung lautete: »Wenn er wählen darf, lass ihn rein.« Folglich füllte sich das Tablinum schnell mit nervösen Klienten, von denen jeder seinen Teil an des Senators Zeit beanspruchte. Ich blieb an der Tür stehen, bis ich glaubte, dass alle Wartenden hereingekommen waren, und machte gerade
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