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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich
Autoren: Sandra Scoppettone
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nehme ich an.«
    »Nein, da ist sie nicht. Du weißt
nicht, wo sie heute abend ist?«
    Er zuckt die Achseln.
    »Sashie?«
    Wir schauen alle in die Richtung, aus
der die Stimme kommt. Eine junge Frau mit punkigem lila Haar, in einem langen
T-Shirt, auf dem knöpfe deinen hosenschlitz zu steht, lehnt in der Tür. Sie lutscht an ihrem Daumen.
    Sasha blickt sie an, dann wieder uns.
»Das ist... äh... Tamari.«
    Oh, Himmel, denke ich, doch ich
sage hallo.
    Sie antwortet nicht und lutscht weiter
an ihrem Daumen.
    Als sie schließlich den Daumen aus dem
Mund nimmt, sagt sie: »Sashie, hol Essen, ja?«
    Selbst in seinem derzeitigen Zustand
wirkt Sasha peinlich berührt. »Geh wieder ins Bett, Tamari. Ich komm gleich
nach.«
    »Tamari Hunger«, sagt sie.
    Ich weiß intuitiv, daß Tamari nicht so
spricht, weil sie aus dem Ausland kommt.
    »Bitte«, sagt er.
    »Tamari nicht müde.«
    Ich kann es mir nicht verkneifen:
»Tamari Klappe halten und ins Bett gehen!«
    Tamari macht große Augen, der Daumen
rutscht ihr aus dem Mund, und sie sagt: »Miststück!« Aber sie geht.
    »Entschuldige«, sage ich zu Sasha.
    Er schüttelt den Kopf, als wollte er
ausdrücken, daß Tamari nichts mit seinem Leben zu schaffen hat und es keine
Rolle spielt, was ich zu ihr sage.
    Nach einer peinlichen Stille fahre ich
fort: »Falls Blythe es nicht tun will, möchtest du, daß ich die nötigen
Vorkehrungen treffe?«
    »Vorkehrungen?«
    Jetzt bin ich sauer auf ihn. Wieso muß
er unter Drogen stehen? »Was hast du genommen, Sasha? Und bitte beleidige mich
nicht, indem du ›nichts‹ sagst.«
    Kip berührt meinen Arm, und mir wird
bewußt, daß ich ihn angeschrien habe. Wut erfaßt mich, und ich spüre, daß ich
Lust habe, Sasha ins Gesicht zu schlagen. Dann geht mir auf, daß ich eigentlich
wütend auf Megan bin... weil sie tot ist. Solange ich wütend bin, muß ich nicht
weinen.
    Sasha antwortet nicht.
    »Falls Blythe es nicht machen will,
kümmere ich mich um die Beerdigung, wenn du möchtest.«
    »Oh. Ja, das wäre gut.«
    Rick sagt: »Brauchst du irgendwas?«
    Er verneint, und als Kip ihn drängt,
uns anzurufen, erhält sie seine Telefonnummer und die von Blythe. Ich sage, daß
wir uns bei ihm melden.
     
    William und Rick sind nach Hause
gegangen. William ist noch mitgenommen von seinem früheren Erlebnis dieses
Abends mit den Räubern, und Kip und ich finden, daß es besser ist, wenn wir
allein zu Blythe gehen. Außerdem sind wir wieder in unserem eigenen Viertel und
haben keine Angst mehr.
    Zwischen der Bedford Street und der
108th liegen Welten. Das Gebäude ist ein vierstöckiges Backsteinhaus. Obwohl es
auch hier einen Treppenaufgang gibt, sitzt niemand draußen. Die Haustür ist
verschlossen, doch man hat von hier aus Zugriff auf die Klingeln.
    Ich schaue auf meine Uhr. Es ist zehn
nach eins. Als ich auf die Klingel drücke, hält ein Taxi vor dem Haus und eine
Frau steigt aus. Sie steckt kurz den Kopf durch das offene Beifahrerfenster,
tritt zurück, und das Taxi fährt weg. Als die Frau die Stufen hochkommt, sehe
ich, daß es Blythe ist.
    »Lauren«, sagt sie überrascht. Nach dem
ersten Schock verändert sich ihr Gesicht, Mißtrauen taucht darin auf. »Was ist?
Kip, was ist los?«
    Ich bin es, die es ihr sagen muß, nicht
Kip. Ich habe schon früher Leuten gesagt, daß andere tot sind, doch ich kann
mich nicht erinnern, schon einmal mit dem Verstorbenen und dem Überlebenden so
vertraut gewesen zu sein.
    »Blythe, deine Mutter...«
    »Oh, Scheiße«, sagt sie aufgebracht,
»hat Meg euch hergeschickt? Ich kann’s nicht glauben, sie läßt aber auch nichts
aus, um ihren Willen durchzusetzen. Schön, wir haben uns gestritten, na und?
Gottverdammt. Ich kann nicht fassen, daß sie um ein Uhr morgens Abgesandte
schickt.«
    »Meg hat uns nicht geschickt«, sage
ich. Ich wußte nicht, daß sie gestritten hatten, und überlege absurderweise,
weshalb Meg es mir nicht gesagt hat.
    »Blythe, deine Mutter wurde getötet«,
sage ich brüsk, weil es niemals eine passende Art gibt, eine Todesnachricht zu
überbringen, und vielleicht auch, weil das, was Blythe gerade über Meg gesagt
hat, in mir den Wunsch weckt, sie zu bestrafen, wenn ich das auch nicht gern
zugebe.
    In dem trüben Licht der beiden Lampen
über der Haustür kann ich sehen, wie Blythes Ausdruck von Wut und Arroganz in
Entsetzen übergeht. Sie schwankt, und Kip und ich packen sie.
    »Was«, sagt sie, nicht als Frage,
sondern als Feststellung.
    »Gehen wir rein«, sage ich.
    Ihre
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