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Immer dieser Knasterbax

Immer dieser Knasterbax

Titel: Immer dieser Knasterbax
Autoren: Werner Schrader
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überstehen Sie den Rundgang vielleicht ohne Schock.“ Und zu den andern
gewandt: „Will sich also niemand ausschließen? Gut, dann mache ich Sie jetzt
darauf aufmerksam, daß alles, was Sie gleich erleben werden, auf Ihre eigene
Gefahr geschieht. Gegen Herzversagen oder Schlaganfall sind Sie nicht
versichert.“
    Er wartete noch eine Weile, um
den Leuten mit schwachen Nerven Gelegenheit zu geben, sich zu entfernen. Aber
niemand ging. Statt dessen rief ein Junge, der laut auf einem Kaugummi
herumschmatzte: „Ich wette, das ist so ’n ganz lahmer Käse, so was für alte
Tanten und Kindermädchen!“
    Da drehte sich der Burgführer
langsam nach ihm um und sagte mit eigenartig belegter Stimme: „Ich wollte es
wäre so, denn auch ich bin nur ein Mensch, der Angst hat und sich fürchtet,
wenn er Angehörigen der Geisterwelt gegenübersteht. Was meinen Sie, meine
Herrschaften, wie mir täglich aufs neue die Knie schlottern, wenn ich das
Unheimliche und Unglaubliche erlebe! Am liebsten würde ich jedesmal
davonlaufen, aber das darf ich den Besuchern natürlich nicht antun: sie würden
in den dunklen Gängen und Räumen vor Schreck sterben. Glauben Sie mir, es ist
schrecklicher, als Sie sich vorstellen können.“
    Nach diesen Worten begannen
drei Damen miteinander zu tuscheln, und es schien, als wollten sie
zurückbleiben. Aber dann siegte doch ihre Neugier über ihre Angst, und sie
blieben.
    „Ich habe Sie gewarnt“, sagte
der Burgführer noch einmal. „Machen Sie mir hinterher keine Vorwürfe!“ Damit
stieg er den Besuchern voran auf den Wehrgang. Er wußte, daß sie nicht besser
auf das Kommende eingestimmt werden konnten.
    „Dreißig Jahre lang“, begann
er, als alle die hölzerne Treppe erklommen hatten, „bauten die Handwerker von
Reginhard dem Schrecklichen an der Burg, dreißig fürchterliche Jahre lang. Über
hundert von ihnen starben während des Baus. Sie stürzten ab oder wurden von den
Bluthunden des Ritters zerrissen, wenn sie sich einmal ausruhten und sich in
der unerträglichen Sonnenglut auf einen Stein setzten. Die Toten wurden nicht
beerdigt, sondern mit eingemauert. Das ist einer der Gründe, warum es auf der
Burg so unheimlich ist. Es gibt keine Wand in der ganzen Anlage, wo nicht an
irgendeiner Stelle der weiße Knochen eines Abgestürzten oder Totgebissenen zu
sehen ist, sei es nun eine Schädeldecke oder auch nur eine Kniescheibe. Weil
die Frauen und Kinder der Verstorbenen am Fuße des Berges standen und einander
ihr Leid klagten, nannte man die Burg im Volksmund bald nur noch Burg
Klagenfels, welchen Namen sie heute noch trägt, wie Sie wissen. Nun, Reginhard
der Schreckliche brachte nicht nur Maurer und Zimmerer um, sondern auch
Angehörige seiner Familie, und das wurde ihm schließlich selbst zum Verhängnis.
Als er seinem Vetter Gift in den Wein schüttete, verwechselte er die Becher und
mußte so selbst einen grauenvollen Tod sterben. Sofort entbrannte unter seinen
beiden Söhnen, den Zwillingen Friedrich und Gunthard, die ihrem toten Vater an
Tücke und Bosheit nicht nachstanden, ein heftiger Streit um das Erbe. Jeder
behauptete, er sei der Ältere und habe darum allein Anspruch auf die Burg.
Dabei war der Altersunterschied ja nicht mehr als höchstens eine Viertelstunde.
An dieser Stelle hier, wo ich gerade stehe, stieß Friedrich seinen Bruder am
St. Martinstag über die Brüstung auf den Felsen hinunter. Obwohl Gunthard
sofort tot war, begann er zu stöhnen und zu wimmern und hörte bis auf den
heutigen Tag nie wieder damit auf. Bitte, treten Sie hinter diesen
Mauervorsprung und horchen Sie in die Tiefe. Hören Sie es?“
    Und ob die Leute es hörten!
Unten stand nämlich Knasterbax hinter einem Busch und stöhnte und ächzte so
qualvoll, daß man glauben konnte, er würde langsam in der Mitte zersägt.
    „O Gott“, rief eine dicke Dame
ängstlich, „das klingt ja schauerlich!“
    Und eine ganz Lange mit einem
Schleierhut auf dem Kopf ergänzte flüsternd: „Als ob es ein lebendiger Mensch
wäre!“ Worauf der Herr im hellen Sommermantel mit einem künstlichen Lächeln
bemerkte: „Vielleicht ist es ja ein lebendiger Mensch, dem wir hier auf den
Leim kriechen sollen!“
    Aber das hätte er besser nicht
gesagt, denn nun holte Knasterbax zum nächsten Schlag aus.
    „Bruderherz, Luderherz“, schrie
er, „werde ich klettern ’rauf das dicke Mauer und drehen dir um die Genick!“
    Im selben Moment hörten die
Besucher erschauernd, wie jemand ächzend die Mauer zu ersteigen
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