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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts
Autoren: Katarina Fischer
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kommst ohne diesen verbissenen Gesichtsausdruck zurück.«
    »Verbissener Gesichtsausdruck?«
    »Sag bloß, das ist dir noch nicht aufgefallen. Die ganze Verbitterung einer geschiedenen Vierzigjährigen, wie eine Leuchtreklame. Bäm!«
    Dabei war ich gar nicht vierzig. Oder geschieden. Wie gesagt, ich hatte es bisher ja nicht einmal geschafft zu heiraten. Möglichst unauffällig, aber doch leicht panisch, hatte ich mein Gesicht befühlt und versucht, mich in der Scheibe des Küchenfensters zu spiegeln. »Das kann nicht sein. Ich bin Anfang dreißig!«
    »Nur eine Zahl.« Sky legte mir tröstend einen Arm um die Schulter. »Manche von uns holt das Alter weit vor ihrer Zeit ein. Wenn man nicht geschmeidig bleibt, kann das schnell passieren.«
    »Das ist das Niederschmetterndste, was ich seit Langem gehört habe.«
    Er nickte mitleidig und schlürfte an seinem Yogi Tee. »Hast du eigentlich so eine Beißschiene?«
    »Eine was?«
    »Ich wette, du knirschst nachts mit den Zähnen …«
    Klar hatte ich in letzter Zeit vermehrt im Schlaf mit den Zähnen geknirscht, schließlich schlug ich mich mehr schlecht als recht mit der Heiligen Dreifaltigkeit der Extrembelastungen herum: Führungsposition, Alltagsfrust, Hochzeit. Und auch wenn es nicht meine eigene Hochzeit war … Ich steckte so tief in der Organisation drin, dass es mir irgendwann so vorkam, als wäre sie es. Das ging sogar so weit, dass ich in der Nacht vor dem großen Tag nicht einschlafen konnte, weil ich mir plötzlich nicht mehr sicher war, ob Joe mein Kleid gefallen würde. Und weil ich mich fragte, was ich tun sollte, falls der Ring nicht passte, die amerikanische Verwandtschaft sich nicht wohlfühlte, oder falls der Bräutigam nicht »Ja« sagte. Sondern »Nein«. In meinem Kopf herrschte ein einziges großes Chaos aus Katastrophen-Szenarien. Und ich fragte mich, ob meine in Hochzeitsdingen viel erfahrenere Mutter sich auch so verrückt machte.
    »Hübsches Kleid«, rief Richard mir hinterher, als ich in der knielangen hellblauen Kreation irgendeines Italieners am Morgen der Trauung an der Küche vorbeistürmte, die Haare noch nass und sieben Minuten hinterm Zeitplan. Das war vor zehn Stunden gewesen. Mir kam es vor, als wären inzwischen zwei Tage vergangen.
    Er hatte es aufmunternd gemeint, das wusste ich, aber dafür hatte ich keinen Sinn. »Keine Zeit!«, motzte ich ihn über die Schulter an, und wich nur knapp den Farbeimern aus, die entlang der Wand gestapelt standen und darauf warteten, wieder in den Gestaltungsprozess unserer Wohnung eingebunden zu werden. Seit vier Monaten wohlgemerkt. Und knapp, das war Anlass genug, um meine ganze extreme Anspannung zu einem Strahl extrem schlechter Energie zu bündeln und diesen in Richtung meines Freundes zu entladen: »Warum stehen die Scheißfarbeimer immer noch in dem Scheißflur? Wenn ich jetzt auch nur den kleinsten beschissenen Farbfleck auf meinem Kleid hab, dann weiß ich nicht, was ich tu, Richard, dann raste ich aus. Das war arschteuer!«
    Wie gesagt, in letzter Zeit ging ich bei jeder Kleinigkeit in die Luft.
    Richard, dessen wahrscheinlich beste Eigenschaft es war, sich von meinen Wutausbrüchen nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, erschien in der Küchentür, die Krawatte noch immer nicht gebunden, das Haar nach wie vor zerzaust, und sagte mit seiner sanften Daphne-Flüsterer-Stimme: »Ich mach’s gleich morgen, Baby, okay? Du siehst toll aus.«
    Leider war Richards so ziemlich schlechteste Eigenschaft, dass er sich von meinen Wutausbrüchen nicht aus der Ruhe bringen ließ. Wenn ich wirklich wütend war, machte mich das noch wütender. Und an diesem Morgen vor der Hochzeit meiner Mutter wusste ich einfach nicht mehr, wohin. Also trat ich gegen einen Farbeimer.
    »Ist das eigentlich Farbe auf deinem Kleid?«, fragte Betty und zeigte auf das Grüppchen kleiner grauer Kleckse in der Nähe des Saums. Die Farbe gehörte eigentlich an die Küchenwand.
    Richard warf mir einen Blick zu.
    »Ja. Ist es.« Ich wischte ein paar Krümel von dem leeren Tischtuch vor mir. Gleich war das Dessert dran. »Ist hochgespritzt.«
    »Hochgespritzt?« Betty zog die Augenbrauen hoch. »Aber wie …«
    »Frag nicht.«
    Sie kam ohnehin nicht mehr dazu, weil Joe sich in just diesem Moment von seinem Platz erhob und für Ruhe unter den fast hundert Gästen sorgte, indem er sich räusperte und mit seiner Kuchengabel gegen ein Glas schlug. Die Geräuschkulisse aus Gesprächen und Besteckklappern ebbte ab, der Bräutigam legte
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