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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts
Autoren: Katarina Fischer
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als Hochzeitsplanerin und wahrscheinlich auch, weil der Stress nachließ, nachdem alles, was schiefgegangen war, von meiner Mutter entweder nicht bemerkt oder ignoriert worden war. Wie ihr allerdings hatte entgehen können, dass ein ganzes Stockwerk Torte gefehlt hatte, wollte mir einfach nicht in den Kopf. Ein ganzes Stockwerk!
    Ich brachte die Plastikbeißschiene mithilfe meiner Zunge in Position, konzentrierte mich auf die Leiter und die halb abgerissene Tapete in der Ecke neben dem Fenster und versuchte, jegliche Gedanken an Torte fürs Erste weit von mir zu schieben. Weit, weit weg.
    »Sie haben nichts gemerkt. Gar nichts.« Richard ließ sich mit Schwung neben mir ins Bett fallen. Sein Atem roch trotz Zähneputzen nach Alkohol. »Eine ganze Etage fehlt, und keiner sagt etwas. Besser hätte es nicht laufen …«
    »Können wir über was anderes reden?«, fuhr ich ihm über den Mund. Das war hart und tat mir im selben Moment leid. »Oder vielleicht gar nicht reden?«, fügte ich etwas sanfter hinzu. »Ich bin müde. Ich hab Kopfschmerzen.«
    Richard schaltete das Licht aus und atmete im Halbdunkel hörbar aus. »Du hast oft Kopfschmerzen in letzter Zeit. Geh doch mal zum Arzt.«
    Vielleicht war es nur eine Feststellung. Ziemlich sicher war es das. Aber in meinen Ohren, in meinem übellaunigen Kopf, klang es wie ein Vorwurf. Mal ganz abgesehen davon, dass ich es hasste, wenn jemand dachte, mir sagen zu müssen, was ich zu tun hatte, vor allem wenn dieser Jemand Richard war: Wann hatte er denn mal etwas getan, worum ich ihn gebeten hatte. Gebeten. Mit »bitte« und allem. Nicht der unverschämte Imperativ, den er benutzte.
    Ich nahm das Stück Plastik wieder aus meinem Mund, damit ich besser reden konnte. »Die Leiter steht da auch schon seit Wochen.«
    »Ja«, antwortete er knapp. Das Thema kannte er. Darauf hatte er so wenig Lust wie ich.
    »Wann machen wir das fertig?«
    »Wenn ich dazu komme.«
    »Und wann wird das sein?«
    Ich hörte und merkte, wie er sich umdrehte. Von mir weg. »Morgen?«
    »Morgen.« Ich lachte bitter. »Du stehst doch nie im Leben vor drei auf. Und dann hast du einen Kater.«
    »Du doch auch, Daphne.«
    »Aber ich versetze dich nicht ständig wegen irgendwelcher ›spontanen‹ Termine, weil ich eigentlich gar keinen Bock darauf habe, die Wohnung fertig zu machen.« Ich hielt den Atem an und wartete, wie er auf diese Unterstellung reagieren würde.
    Er nahm sich seine Zeit, und als er antwortete, tat er das in einem erstaunlich ruhigen, aber auch merklich genervten Tonfall. »Ich bin unseretwegen aus New York zurückgekommen und hab dich gebeten, bei mir einzuziehen. Natürlich hab ich darauf Bock, die Wohnung mit dir zu renovieren. Aber mein Job ist eben sehr … arbeitsintensiv.« Ich prustete. Er seufzte. »Dafür sehen wir uns jetzt öfter als damals, als ich noch in Amerika gelebt habe.«
    »Kaum«, giftete ich, den Blick an die Zimmerdecke geheftet. » Und ich lebe auf einer Baustelle. Vielen Dank auch.«
    Richard seufzte. »Wenn es dich so nervt, dann renovier doch allein.«
    »Nein!« Wutschnaubend setzte ich mich im Bett auf. »Das ist unsere Wohnung, und die renovieren wir zusammen . Ich meine, wenn du nicht einmal dafür Zeit findest …« Achtung, der finale Schlag: »… dann ist ja wohl klar, was dir unsere Beziehung bedeutet. Gar nichts nämlich.«
    Das hatte ich so eigentlich nicht sagen wollen. Das hatte ich nicht einmal so gemeint. Ich hatte den Satz im Kopf gebildet und mir selbst befohlen: Was auch immer du jetzt sagst, das sagst du nicht. Aber der Imperativ, wie gesagt, funktionierte bei mir einfach nicht. Leider. Denn jetzt lagen wir hier und stritten uns wegen Kleinigkeiten. Um fünf Uhr früh. Im grauen Morgenlicht. Streiten war das Erste, was wir am neuen Tag taten, die letzte Handlung vor dem Einschlafen. Grundloses Aufeinandereinhacken. Und ich hatte angefangen. Die Entschuldigung lag mir auf der Zunge. Aber mein Kopf tat so weh.
    »Ich hab Kopfschmerzen«, sagte ich und sank zurück ins Bett. Der Tonfall stimmte. Aber die Worte waren die falschen. ›Es tut mir leid‹, hatte ich eigentlich sagen wollen.
    »Ich weiß.«
    Wir lagen schweigend nebeneinander, während es im Zimmer heller wurde. Ich machte im Kopf mehrere Anläufe, mich zu entschuldigen, aber immer, wenn ich die erlösenden Worte endlich aussprechen wollte, war etwas im Weg, ich wartete zu lang und sagte schließlich nichts. Ich war kurz davor »I Wanna Riot« zu singen, aber auch das ließ ich
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