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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts
Autoren: Katarina Fischer
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bleiben. Und je länger wir schwiegen, desto schwerer wurde es, auch nur einen Ton rauszubringen. Irgendwann begann Richard gleichmäßig und tief zu atmen. Jetzt oder nie.
    »Richard?«
    »Hm?«
    »Ich wollte nur sagen, dass es mir …«
    Das Handy begann neben meinem Kopf zu vibrieren und in einer Lautstärke zu klingeln, die mich erst einmal in eine Schockstarre verfallen ließ, bevor ich panisch den Annahmeknopf drückte. Richard drehte sich neben mir mit einem mürrischen Stöhnen zur Seite.
    »Ja?«, flüsterte ich ins Telefon. Obwohl Flüstern natürlich überflüssig war, alle Anwesenden waren schließlich wach.
    »Daphne?« Hannes’ Stimme am anderen Ende der Leitung klang weinerlich. »Entschuldige, dass ich jetzt noch anrufe. Oder schon. Noch oder schon. Also, jedenfalls ist jetzt keine gute Zeit, das weiß ich auch.«
    »Ist was passiert?«
    »Ja.« Im Hintergrund hörte ich das lallende Gegröle von Betrunkenen. Dasselbe Gegröle drang von der Straße herauf in unser Schlafzimmer. »Ich steh vor deinem Haus.«
    »Das ist mir auch gerade aufgefallen.«
    »Ich weiß nicht, wo ich hinsoll. Kann ich bei euch auf dem Sofa schlafen?«
    Ich dachte an den Tapeziertisch und die eingetrockneten Kleisterpinsel und -eimer im Wohnzimmer. Aber das würde einen Mann in Not nicht stören. Ich fragte Richard, ob es okay wäre, wenn Hannes bei uns übernachtete. Die Antwort, ein verschlafenes »Hm«, hätte alles heißen können, aber ich interpretierte es als »Ja«.
    »Klar. Komm hoch.« Ich stieg aus dem Bett, und mir wurde kurz schwarz vor Augen. »Warte, ich mach dir auf, dann musst du nicht klingeln.« Das hätte meinem Kopf den Rest gegeben.
    Die Vögel zwitscherten im Hinterhof vor dem Küchenfenster, der Wasserkocher brodelte und schaltete sich mit einem Klicken von selbst ab. Ich machte Tee für Hannes und mich. Er hätte lieber Kaffee gehabt, aber ich besaß keine Kaffeemaschine, und Richard hatte zwar versprochen, eine von diesen kleinen Espressokannen mitzubringen, war aber, wie es mit so vielen anderen Dingen (den Staubsaugerbeuteln, der Lampe im Flur …) der Fall war, noch nicht dazu gekommen. Ich stellte meinem Überraschungsgast einen dampfenden Becher vor die Nase, und er begann freudlos, den Teebeutel ein- und auszutunken.
    »Danke.«
    »Bitte.« Ich setzte mich auf die Küchenbank beim Fenster und zog meine Füße unter den Po. Obwohl Sommer war, fror ich ein wenig. Typisch Altbau, da war es meistens fußkalt. Sagte meine Mutter: fußkalt. Wer dachte sich nur solche Wörter aus?
    Hannes schniefte und wischte sich über die Nase.
    »Also: Was ist los?« Es war ja nicht so, als wäre Hannes obdachlos. Er hatte eine Wohnung, in der er mit seiner Freundin Lucy lebte, die auch meine Freundin war, seit wir Kolleginnen bei Markwardt & Söhne, der dümmsten Werbeagentur der Welt, gewesen waren. Manchmal war sie mit ihrer Naivität, ihrer Anhänglichkeit und ihrer überbordenden Begeisterung für alles Niedliche und Rosafarbene schwer zu ertragen. In der letzten Zeit hatte ich mich prophylaktisch von ihr ferngehalten, weil ein weiterer dieser Prinzessin-Lillifee-Filme in den Kinos angelaufen war und sie mich damals überredet hatte, mit ihr (und der fünfjährigen Tochter einer Bekannten) den ersten Teil anzusehen. Es waren die schlimmsten anderthalb Stunden gewesen, die ich je in einem Kinosaal zugebracht hatte. Ich fühlte mich, als würden kleine pinkfarbene Glitzertierchen mein Gehirn auffressen. Unser Alibikind war übrigens derselben Meinung. Lucy aber war hingerissen. So war sie eben.
    Und das Wunderbare war: Hannes liebte sie trotzdem. Vielleicht konnte er sie und ihren Spleen von uns allen einfach am besten verstehen. Schließlich war er ja derjenige mit dieser Ork-Sammlung, für die er des Öfteren schon belächelt worden war. Hannes und Lucy waren vereint in Liebe und Seltsamkeit, zwei ganz spezielle Menschen – der lange Dünne und die kleine Dicke –, wie füreinander gemacht.
    »Lucy hat mich rausgeschmissen.«
    Oder auch nicht.
    »Oh!« Ich saß da mit offenem Mund, zu viele Fragen in meinem müden Kopf, um auch nur ein Wort herauszubringen. Hätte Hannes nicht einfach seinen Schlüssel verlieren können? »Oh«, wiederholte ich.
    »Ja«, sagte er.
    Und das war alles, was er sagte. Die Details musste ich dann wohl durch kluges Nachfragen herausfinden. Ich seufzte und dachte, wie viel leichter und befriedigender es wäre, eine Frau zu sein, wenn man im Kommunikationssektor wenigstens ab und zu
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